Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
und die Einrichtung des Escorial verwandt hat, damit das Kloster eines Tages seinen Leichnam aufnehme, wie es bereits die Seinen aufgenommen habe. ›Da es nun ans Sterben geht‹, setzte er hinzu, ›kann niemand meine Gebeine ehrenvoller dorthin tragen als ich.‹«
Obwohl diese Worte mich von jener
bravura
geprägt dünkten, die man den Spaniern für gewöhnlich vorwirft, murmelte ich einiges Beifällige. Worauf ich Don Cristóbal gespitzten Ohres, denn er war redselig, durch die Labyrinthe des Escorial folgte. Doch als wir einen Innenhof hin zur Basilika überquerten, fragte ich ihn, ob das Gespräch dort statthaben werde.
»Nicht eigentlich«, sagte er, »aber in der Sakristei, wohin Seine Majestät sich auf einem Tragebett hat transportieren lassen, um die Heiligenreliquien anzuschauen, die er sich aus den Niederlanden und aus Deutschland hat kommen lassen, um sie alle, oder fast alle, hier zu versammeln. Ihr wißt sicherlich, Señor Marqués, welchen besonderen Kult der Allerchristlichste König den Heiligen und den Reliqien der Heiligen weiht, ist ihm die teuflische Verachtung der Protestanten für diese doch ein Greuel. Und es scheint«, setzte er, gedämpfter girrend, hinzu, »daß Seine Majestät mit diesem Besuch der Sakristei Abschied nehmen will von den Heiligen, seinen Freunden, bis er sie wiedersieht in der Glorie.«
Abermals murmelte ich etwas Frommes, obschon Don Cristóbals Gewißheit mich recht gewagt anmutete, was die »Glo rie « Felipes in der Ewigkeit betraf, da sein Erdenleben war, wie es war.
Beim Betreten der Sakristei tippte Don Cristóbal mich leise an und raunte, ich möge nicht weitergehen, er selbst dürfe zum König nur, wenn der ihn bemerke und rufe. Ich ließ meine begierigen Augen überall umherschweifen, ohne Seine Majestät irgendwo zu entdecken.
»Ihr könnt den König nicht sehen«, flüsterte mir Don Cristóbal zu. »Er liegt auf seinem Tragebett, und dieses ist Euch wie mir durch jene umstehenden Herren dort verborgen.«
Artig nannte er sie mir sogleich. Die drei Priester in Chorhemd und Stola waren die Beichtväter Seiner Majestät und derköniglichen Kinder, Fray Diego, Fray Gaspar und Fray García. Der kleine Mann in Schwarz war der Leibarzt Don Juan Gómez de Sanabria; der Prälat in violetter Robe Don García de Loyosa, Erzbischof von Toledo und Großalmosenier der Krone. Und neben ihm der Prior des Klosters, der im selben Moment, da Don Cristóbal mir seinen Namen nannte, den König fragte:
»Sire, wie geht es Seiner Majestät?«
»Es geht mir nicht schlecht«, konnte ich Felipe mit schwacher, doch klarer Stimme sagen hören. »Wenigstens geht es meinen Händen besser. Die Wunden haben sich geschlossen. Ich kann ein Buch öffnen und die Seiten umschlagen.«
In diesem Augenblick trat der Erzbischof, dessen hohe und breite Gestalt mir den Kranken verbarg, beiseite, und ich konnte endlich den König sehen, dessen Kopf auf hohen Kissen ruhte. Und tatsächlich blätterte er, wenn auch sichtbarlich unter Schmerzen, mit seinen geschwollenen und gichtsteifen Händen in einem Buch. Sein Gesicht, in dem sehr fahle und in ihrer Fahlheit fast unmenschliche Augen fiebrig glommen, wirkte ausgehöhlt und sein Oberkörper, soweit sein Schlafrock es erkennen ließ, wie entfleischt. Doch durfte man sich angesichts seiner vorstehenden Unterlippe und des fest aufeinandergepreßten Mundes keiner Täuschung hingeben: An Willen mangelte es ihm nicht. Und obwohl von halber Erblindung die Rede war, schien sein Blick an Schärfe nichts eingebüßt zu haben.
»Herr Prior«, sagte er nämlich, »ich traue meinen Augen nicht: Da ist eine Spinne an der Wand!«
Unter den Umstehenden gab es konsterniertes Gemurmel, denn ein jeder kannte den manischen Reinlichkeitssinn des Königs. Der Prior erblaßte, als wäre er bereits zur Garrotte verdammt, und lief wie außer sich mit erhobenen Händen, das Insekt zu fangen.
»Zerdrückt sie nicht!« sagte Felipe scharf, »Ihr würdet die Wand beflecken.«
Die Spinne schien sich an der weißen Mauer selbst wie eine Ketzerin zu fühlen und versuchte, aufwärts zu entkommen, doch bevor sie die Decke erreichte, gelang es einem langen Mönch, sie mit der Hand zu erhaschen. Worauf er die Sakristei verließ, ich wette, um seine Beute im Hof den Mächten der Finsternis zu überliefern.
Diese Szene, die ziemlich lange dauerte, rief bei den Anwesendeneine Art Schreckenslähmung hervor, und die ganze Zeit sah ich auf den Gesichtern kein Lächeln, kein
Weitere Kostenlose Bücher