Der Tag Delphi
die Reichweite des Feindes sich sogar bis zu diesem Zirkel erstreckte, und nun hatte es den Anschein, als wären diese Befürchtungen nicht unbegründet gewesen.
Auf jeden Fall war jeder Vorteil, den McCracken ihm kurzfristig verschafft hatte, mittlerweile wieder verspielt, und mit ihm auch jedes Vertrauen. Unter diesen Umständen konnte der Präsident sich nur auf einen ehemaligen Agenten, der sich derzeit in Südafrika aufhielt und bis zum gestrigen Tag als Ausgestoßener gegolten hatte, und zwei von dessen Freunden verlassen. Nun blieb ihm nur noch eine Möglichkeit.
Der Präsident würde General Cantrell befehlen, morgen früh den Plan Evac, also die Evakuierung, in Kraft zu setzen. Wenn sich im Verlauf der nächsten vierundzwanzig Stunden nichts änderte, würde er die Regierung an einen sicheren Ort bringen lassen.
Hinaus aus Washington.
Barnstable brachte McCracken in das verschwenderische Carlton Hotel im Carlton-Center von Johannesburg, in dem Blaine den Rest des Morgens damit verbrachte, sich mit der Karte von Whiteland vertraut zu machen. Ein Laptop und mehrere zusammengerollte Landkarten erwarteten sie, als sie den Raum betraten.
»Wofür ist der Computer gedacht?« fragte Blaine.
»Fast alles, was wir über Dreyer, die AWB und Whiteland wissen, ist im Großrechner des Innenministeriums gespeichert. Ich hätte zu viele Dateien kopieren müssen, also habe ich diesen Laptop mitgebracht, damit Sie sich in das System einschalten können.«
McCracken breitete die Karten auf dem Bett aus, während Barnstable das Modem aktivierte und die Verbindung mit den Datenbänken des Innenministeriums herstellte. Whiteland war so groß, daß acht Karten nötig waren, um das gesamte Gebiet abzudecken. Barnstable zufolge hatte die AWB vor drei Jahren ihren Anspruch auf die etwa zwanzigtausend Morgen Land kundgetan, um damit praktisch eine eigene Nation zu etablieren. Die südafrikanische Regierung hatte die Geste ignoriert, zum Teil, um die Konfrontation zu vermeiden, die Dreyer suchte, zum Teil in der Hoffnung, daß das Problem sich einfach von allein lösen würde. Das war natürlich nicht der Fall; ganz im Gegenteil, es verschlimmerte sich, je deutlicher die Regierung de Klerk ihre Bereitschaft andeutete, die weiße Herrschaft zu beenden. Es ließ sich absehen, daß bald die ersten freien Wahlen stattfinden und eine aus mehreren Rassen bestehende Übergangsregierung antreten würde. Dementsprechend kochten die Emotionen immer stärker über, während die Extreme sich immer weiter außerhalb der Mitte polarisierten. Das hatte zu einem dramatischen Zulauf für die AWB geführt. Barnstable zufolge wurden fast täglich neue Rekruten aufgenommen, und in Whiteland wurde wie verrückt gebaut, um die neuen Mitglieder auch unterbringen zu können.
Dieser Trend wurde von den einen Monat alten Plänen bestätigt, die Barnstable organisiert hatte. Mit wenigen Ausnahmen unterschied Whiteland sich kaum von anderen Städten oder Siedlungen. Einige Gebiete waren noch nicht mit fließendem Wasser und Innentoiletten ausgestattet und muteten etwas provinzieller an. Allem Anschein nach hatte Dreyer Schwierigkeiten, mit dem Bedarf an neuen Häusern Schritt zu halten.
Das Stadtzentrum von Whiteland war genau das, ein Viertel sich schneidender Straßen in der Mitte des Territoriums, das die AWB einfach für sich beansprucht hatte. Nur ein kleiner Teil davon befand sich im Besitz der Familie Dreyer. Der Rest war Staatsgebiet gewesen, bis Travis Dreyer seinen dreisten Schachzug durchgeführt und die Regierung herausgefordert hatte, ihn doch daran zu hindern. Anscheinend war die Parzelle von fünf Morgen Land im südöstlichen Teil von Whiteland, die rechtmäßig der Familie Dreyer gehörte, zum Kommandozentrum der AWB umgebaut worden. Blaine richtete seine Aufmerksamkeit auf die Karte, auf der dieser Komplex abgebildet war.
Der hintere Teil des Kommandozentrums grenzte an den Wald, der den gesamten Besitz umschloß. Es verfügte über drei oberirdische und vier unterirdische Stockwerke; die letzteren bestanden im Prinzip aus Betonbunkern, die von der Außenwelt völlig abgeschottet werden konnten. Ein drei Meter hoher elektrischer Zaun schloß praktisch jede Möglichkeit aus, von hinten unbemerkt auf das Gelände einzudringen. Weitere Absperrungen oder andere ausgeklügelte Sicherheitsmaßnahmen waren nicht vorhanden, und Blaine hatte auch mit keinen gerechnet. Denn was für einen Eindruck würden die Bewohner von Whiteland bekommen,
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