Der Tag der Rache. Private Berlin
jemandem nach Hause gehen?«, erkundigte sich Katharina.
»V ielleicht kommt Tanja nach der Versammlung nach Hause.«
»R ufen Sie uns an, wenn Sie uns brauchen«, bot Mattie an.
Er nickte abwesend und machte sich auf den Weg.
»I ch kann hier nicht weg«, beschwerte sich Dietrich am Telefon. »S chickt jemand anders.«
Kopfschüttelnd beendete er das Gespräch.
»W er war das?«, wollte Kommissar Weigel wissen.
Dietrich zögerte. »D ie Polizei in Halle hat einen Toten in der Elbe gefunden und identifiziert. Einen Doktoranden der TU Berlin. Eine Art Computersupergenie. Sie haben unsere Hilfe angefordert, aber wir haben schon genug zu tun. Wir müssen Hermann Krüger suchen.«
Mattie hatte Dietrich von den gestohlenen Akten aus dem Bundesarchiv erzählen wollen, doch jetzt war sie mehr an der Nachricht über den toten Computerspezialisten interessiert– nachdem jemand mit unglaublichen Fähigkeiten das Rechnernetz von Private Berlin geknackt hatte.
Auch Katharina schien interessiert zu sein. »H at der tote Doktorand auch einen Namen?«, fragte sie.
»W eigel kann ihn herausfinden«, wimmelte Dietrich ab und ging fort.
»I ch glaube, dann mache ich mich mal auf den Weg zur TU «, sagte Katharina.
»O hne mich«, erwiderte Mattie. »I ch fahre nach Halle.«
52
Liebe Freunde, es ist erst drei Uhr nachmittags, und ich muss zugeben, dass ich bereits hundemüde von den vielen langwierigen Aufgaben bin, die ich heute erledigen musste. Aber ich bringe meine Angelegenheiten gerne in Ordnung, räume auf und fege die Glasscherben zusammen, bevor ich mich etwas Neuem widme.
So arbeitet ein Unsichtbarer. Manche Gewohnheiten sterben nie.
Ich sehe mir meine Hände an und stelle fest, dass ich mich eigentlich nie richtig selbst gesehen habe, jedenfalls nicht ohne Spiegel. Und Spiegel gehören immerhin zu den Illusionen des Lebens.
Ich weiß nicht, wie ich wirklich aussehe, und werde es nie wissen. Und wenn nicht ich, wer dann? Auch diejenigen, die ich in den letzten beiden Wochen auslöschen musste, haben es nicht gewusst. Keiner von ihnen hat mich an meinem Gesicht erkannt.
Aber sie erkannten meine Stimme.
Bevor sie starben, sahen sie mich an, als wäre ich ein unheimliches Puzzle, bei dem einige Teile fehlen.
Ich fühle mich quicklebendig, während ich lachend Bräunungslotion auf mein Gesicht und meine Hände verteile und mir farbige Kontaktlinsen einsetze, mit denen meine braunen Augen grün werden. Dann klebe ich mir dunkle Augenbrauen und einen Schnurrbart auf und stecke Watte in meine Wangen.
Anschließend schlüpfe ich in einen blauen Overall, der mit dem Namen einer örtlichen Installationsfirma bestickt ist. Es ist erstaunlich, was man in billigen Geschäften findet, wenn man weiß, was man sucht. Dort fand ich sogar die passende Kappe.
Als ich fertig und überzeugt bin, dass mich niemand aus meinem aktuellen Leben erkennen wird, lege ich Schraubenschlüssel, Schraubenzieher und eine kleine Lötlampe in einen Werkzeugkasten, während meine Kehle leise Knacklaute von sich gibt. Es ist so wichtig, die richtigen Werkzeuge mitzunehmen. Stimmt doch, hm?
53
Am Nachmittag kehrte Mattie zu Private Berlin zurück, ließ sich einen Wagen geben und fuhr die hundertsiebzig Kilometer nach Halle. Der aufziehende Sturm ließ die Stadt mit der grauen, trostlosen DDR -Architektur noch düsterer und freudloser aussehen.
Als Mattie den Wagen abstellte, fragte sie sich, ob die Leiche des Computergenies tatsächlich mit dem Angriff auf Privates Rechnersystem, Chris’ Tod und dem Mord an Agnes Krüger am helllichten Tag zu tun hatte. Steckte Hermann Krüger hinter alldem? Würde es jemand von seinem Kaliber auf sich nehmen, so unverfroren und kaltblütig vorzugehen?
Um Antworten auf ihre Fragen zu finden, ging Mattie ins Rathaus, um sich dort nach dem Waisenhaus 44 zu erkundigen. Die junge, tätowierte Emo-Punkerin, mit der sie bereits vorab telefoniert hatte, sagte, sie habe nie von dem Waisenhaus, geschweige denn von irgendwelchen Unterlagen gehört. Doch eine Frau mittleren Alters, die am Schreibtisch hinter der Punkerin wartete, erzählte Mattie, das Waisenhaus 44 befinde sich an der Straße zwischen Klepzig und Reußen.
»U nd steht es noch immer dort?«, wollte Mattie wissen.
»N icht mehr lange«, antwortete die Angestellte. »E s wird nächsten Monat abgerissen und stattdessen eine Fabrik für Stromsparlampen gebaut.«
»G ibt’s noch Unterlagen?«, fragte Mattie.
»I ch glaube, die wurden nach der
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