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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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Seewetter, dass es immer irgendwie beruhigte, man hatte das Gefühl, mit der Welt auf du und du zu sein, gerade so als wäre unsereiner jemals in Berührung mit der Seefahrt gewesen.
    Die Inseln – Kuuskajaskari, Kylmäpihlaja, Nahkiainen, Valassaari – glitten vor meinem inneren Auge vorüber und verschwanden im Nebel. Ich saß noch eine Weile da und starrte auf die weißen Tassen, die auf der roten Wachstuchtischdecke stehen geblieben waren, zwei fettige Kaffeeaugen glotzten zurück, dann sprang ich mit einem besonders schnellen Ruck auf und war im nächsten Moment im Treppenhaus, im Hof, in der Einfahrt, auf der Straße, auf zermatschten Lindenblättern, auf dem Zebrastreifen, einen Block weiter, wieder auf einem Zebrastreifen, an einer Ampel, in Hakaniemi. Und nachdem ich das zänkische Gerangel auf der Hämeentie mit einigermaßen heiler Haut überstanden hatte, fand ich mich auch schon auf dem Markt wieder, beim orange flatternden Zeltstoff der Stände, im lauen Kreuzfeuer der rufenden Händler, im Geruchsspektrum von Buden und Passanten, so zügig war ich gegangen. Und plötzlich stand ich an der Ecke Viherniemenkatu, starrte einer Gurken abwiegenden Anorakfrau im Eckladen direkt in die Augen und kam erst wieder zu mir, als sie vormeinem Idiotenglotzen sichtlich verängstigt zwischen die Regale floh.
    Auf dem Weg zu Virtanens grünem Haus riss eine Windbö auch die letzten Blätter aus den rechteckig gestutzten Linden. An der Haustür klingelte ich ohne nachzudenken und trat gleich darauf ins warme Treppenhaus, wo ein türkis angemalter Heizkörper vor sich hin rauschte und gluckerte und mich mit einer kleinen Welle heißer Luft anhauchte, als ich daran vorbeiging.
    Den Fahrstuhl brauchte ich nicht. Die filmreife Sekretärin und die riesige Laune der Natur in den oberen Stockwerken durften diesmal unter sich bleiben.
    Ich ging flatschend die paar Stockwerke zu Fuß, tatsächlich flatschend, denn ich trug die Vernunftschuhe, weiße Turnschuhe. Umstandslos klingelte ich bei Virtanen. Laut und geradezu flüssig schwappte das Geräusch an der Wand. Ich konnte gerade noch erschrecken, aber in die Luft springen konnte ich nicht mehr, denn da ging die Tür bereits einen Spaltbreit auf.
    »Hallo«, flüsterte es schmal aus dem Spalt. Im trüben Halbdunkel war ein feuchtes Auge zu sehen.
    »Hallo«, sagte ich.
    »Hallo«, flüsterte das Auge und zuckte. »Wer ist da?«
    »Ich bin’s nur, Irma.«
    Das Auge, das Virtanens Grabesstimme hatte, schwieg eine Weile und sah so aus, als hinge es an einem schwarzen Stück Stoff. Hinter meinem Rücken bestellte jemand den Lift in die oberen Etagen und verursachte einen kalten Schauer aus dem Hinterhalt.
    »Irma von der Umfrageforschung«, sagte ich schließlich, daVirtanens Auge keine weiterführende Kommunikation zustande zu bringen schien. Er erinnerte sich wahrscheinlich einfach nicht mehr daran, dass ich schon mal bei ihm gewesen war.
    »Ach ja«, sagte er kurz darauf dann doch und öffnete die Tür, worauf ich ihn komplett vor mir sah. Er trug lange schwarze Unterhosen und ein graues, übergroßes T-Shirt, das seinen Bauch vermutlich umfangreicher aussehen ließ, als er war. Alles in allem machte er den Eindruck, als hätte er einen vereinbarten Termin vergessen.
    Auf seine bibbernde Art bat er mich herein. Im eigentlichen Wohnraum hatte sich seit meinem letzten Besuch nicht viel verändert, außer dass vielleicht eine neue Schicht aus allerhand bräunlichen Überresten des Lebens die Flächen bedeckte. Ich blieb mitten im Raum vor der Couch stehen und wagte es nicht, mich zu setzen, sie sah noch einsturzgefährdeter aus als neulich, als warte sie bloß auf ihren letzten Sitzer, um sich von der irdischen Mühsal verabschieden und fortan mit vier gesunden Beinen auf den grünen Wiesen des Sofahimmels umhertollen zu können. Virtanen buckelte an mir vorbei und bedeutete mir ansatzweise, am Tisch Platz zu nehmen. Er zog eine Geruchsschleppe aus altem Alkohol und Penizillin hinter sich her.
    »Ja, also«, sagte er, sobald er selbst saß, und machte seinen Kopf durch mehrmaliges Schütteln einigermaßen funktionstüchtig. Seine stoppeligen Backen schwabbelten. »Tschuldigung, dass ich, dass ich. Ich bin ein bisschen krank. Wir hatten, glaube ich, noch ein paar Fragen offen.«
    »Eigentlich nicht«, sagte ich.
    Er sah mich so entsetzt an, wie es nur ein Mann mittlerenAlters kann, der einen Kater hat und sich vor bösen Überraschungen fürchtet. Graues Nachmittagslicht stach

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