Der Tag der roten Nase
kann, das erwachsene Auto.« Unvermutet kamen mir die Worte so sarkastisch und mit seltsam bürokratischem Anstrich aus dem Mund, dass ich kurz das Gefühl hatte, ein anderer Mensch hätte sie ausgesprochen, ein garstiger Mann, der sich hinter meinem Rücken verschanzte und mir falsch eingefärbte und fehltemperierte Wörter einsagte.
»Moment mal«, sagte mein Sohn. »Jetzt hörst du mir zu.«
Und dann produzierte er so nachdrückliche und gewichtige Wörter, dass ich stocksteif zuhörte.
»Mama. Ich muss für längere Zeit weg. Im Ernst.«
Ich kam lediglich dazu, »ach ja« zu sagen, da sprach er auch schon irgendwie erhitzt weiter, er könne mich eine Zeitlang nicht ohne Weiteres besuchen, es könnte teuer werden, wenner die ganze Zeit irgendwo rumstehe, also der Wagen, außerdem falle er dann vielleicht einer Baustelle oder Vandalen zum Opfer oder so, Jugendliche könnten ihm Schaden zufügen oder jemand ihn stehlen. Jemand müsse also aufpassen, dass er nicht abhandenkomme, der arme kleine Wagen, immerhin ein gutes Auto. »Du musst gar nicht selbst damit durch die Gegend cruisen. Es reicht, wenn du ein Auge darauf hast.«
»Aha«, sagte ich.
»Was heißt ein Auge … von selbst fährt es ja nicht weg, aber wenn du eben. Ein bisschen.«
»Du hast dich doch nicht in irgendwas Dubioses hineinziehen lassen?«, fragte ich.
Er verdrehte die Augen und sagte mit noch dünner und brüchiger Stimme: »Bestimmt nicht«, und schaute wieder nach draußen in die klare Luft, die aussah wie Wasser. Das war wohl auch besser so, ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich das Thema wechseln musste, und zwar schnell. Eine Mutter brauchte keine Einzelheiten zu wissen, eine Mutter durfte sich auch ungenaue Sorgen machen.
»Du bist ein guter Junge«, sagte ich und dachte, dass ich in letzter Zeit häufiger als früher so etwas von mir gab, wieso eigentlich? Andererseits war ich auch überraschend oft und auf ganz ungewohnte Art ins Sticheln verfallen.
»Ja, ja, ich weiß«, sagte er, wenn nicht gerade überdrüssig, so doch zumindest irgendwie gedämpft. Ein paar leidende und erlittene Falten frästen sich in seine Wangen. Plötzlich wurde mir klar, dass er kein Teenager mehr war.
»Wie geht’s dir denn so?«, fragte ich.
»Ganz gut, allerdings müsste das mit dem Auto jetzt relativ schnell erledigt werden.«
»Schön. Und wie geht’s Rosmarie?«
»Wem?«, fragte er, nun völlig abwesend.
»Ach so«, sagte ich und murmelte, der Name hätte sich sowieso mehr nach einem Gewürz als nach einer lebenden Person angehört.
»Äh, was?«, fragte mein Sohn und kratzte sich den einsamen Schnurrbartstumpf. Durch die Briefklappe kam ein Stoß gewerbliche Informationen geflattert, zwei Mal die Woche um die gleiche Zeit fielen sie mir in die Diele, es war ein bestimmt schon sechzigjähriger Mann, der wie ein depressiver Pfadfinder aussah und mit seiner aufgequollenen Resignation als Jesuszettelverteiler ungleich effektiver gewesen wäre. Durch das Rauschen meines Blutes und den rasselnden Atem meines Sohnes hindurch hörte ich, wie er im Treppenhaus seufzte, nachdem er ein weiteres Blatt mit unfassbar in die Länge gezogener Mühe durch den Briefschlitz geschoben hatte.
Als mein Sohn sich räusperte, fuhr ich zusammen und fragte nun meinerseits »äh, was«, worauf er etwas Fragenartiges bölkte, und nach einer kurzen Stille kam es dann wieder zu einem halb stichelnden, na, Halbgefecht, Also was jetzt, Ich war in Gedanken, Also ich hatte gefragt also was jetzt, Stimmt das hast du jetzt schon zwei Mal gesagt, Das heißt genau genommen habe ich äh was gefragt, Das war jetzt schon die Verdreifachung, Aha, Genau, Aber warum, Was warum, Na ich weiß ja nicht aber nimmst du jetzt das Auto oder nicht, Nein, Verdammte Scheiße, Du brauchst in meiner Gegenwart keine Kraftausdrücke zu benutzen, Ja ja, Genau, Habe ich mich denn nicht deutlich genug ausgedrückt, Ehrlich gesagt nicht besonders, Was, Deutlich, So langsam fange ich an, Ja,Fange ich an ein bisschen Probleme zu kriegen, Ach ja, Würdest du mir jetzt einfach mal sagen ob du das Auto nimmst oder nicht.
»Also gut, ich nehme es, verflixt noch mal«, sagte ich. »Kannst du nicht mal eine andere Platte auflegen?« Dann schweifte ich auch schon wieder vollkommen selig ab und fragte: »Also wie geht’s dir denn?«
»Das hast du mich schon gefragt«, antwortete er patzig.
»Dann habe ich sicher die Antwort nicht gehört.«
»So, so«, sagte er und fing an zu erzählen.
Er
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