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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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den Unannehmlichkeiten in Kerava gesehnt hatte. Ich blickte über den Tisch hinweg in die Kochnische, wo sich ein hartnäckiger Berg aus nicht zusammenpassendem Geschirr allem nachlässigen Stapeln zum Trotz so kompakt erhob, dass es schon wieder etwas Imposantes an sich hatte. Plötzlich geriet der Stapel in Bewegung, ich dachte schon, ich hätte ihn allein durch meinen Blick zum Erzittern gebracht, dabei war der wahre Grund vermutlich die Kiste, die Virtanen im Flur auf den Fußboden krachen ließ. Jedenfalls geriet der auf einem Fundament aus mehreren Tellern findig errichtete Turm bedrohlich ins Wanken und entsandte einen Schwarm Fruchtfliegen, was prompt das Gefühl auslöste, etwas mitansehen zu müssen, dessen Beobachtung oder Beurteilung absolut nicht zu meinen Aufgaben gehörte.
    Ich spähte aus dem Fenster. Auch draußen passierte nichts Besonderes, die großen alten Ahornbäume standen schwarzund trist da, wo sie hingehörten, nur noch vereinzelte Blattreste an den Zweigen. Im Haus gegenüber ging ein Fenster auf und eine Frau, die ihren Kopf mit einem Tuch schützte, tauchte auf sowie eine winkende Hand, von der man unmöglich sagen konnte, ob ihre Bewegungsabfolge jemanden einladen oder verscheuchen sollte. Auf dem Rasen stand ein kleiner Junge, von dessen tüchtig gerecktem Mittelfinger man ebenso schwer sagen konnte, ob er der zum Essen rufenden Mutter oder einer fremden, zeternden Tante galt.
    Da es beim Hausherrn noch zu dauern schien, schlug ich die Zeitung auf, die zuoberst auf dem Tisch lag, und blätterte zerstreut ein paar Seiten um. Und da stand es.
    Da stand es, in der Zeitung, auf der Seite, es, unmöglich anders zu fassen als mit dem Wort »es«, Es, das Schreckliche, das schreckliche Etwas, das innerhalb eines winzigen Augenblicks alles irgendwie zum Einstürzen zu bringen drohte.
    Ich starrte auf die Seite, auf die Zeichen, die dort standen. Sie glitten aufeinander zu und bildeten etwas Schwarzes und Gefährliches, etwas Großes, sich quälend langsam Aufhäufendes, das dann zu einem düsteren, kalten gewundenen Turm wurde und Augen, Mund, Nasenlöchern, Ohren und Verstehorgan entgegenwuchs. Unter der Baskenmütze, die abzulegen ich vergessen hatte, fing es an zu brodeln und etwas Feuchtes, Heißes sickerte zum Haaransatz. Die Schuhsohlen machten wilde Skilaufgeräusche unter dem Stuhl.
    »Wo hast du das her?«, muckste ich, als mir gegenüber eine nebelhafte Menschenform am Tisch niedersank, die eine Art Zettel in der Hand schwenkte.
    »Was denn?«, fragte Virtanen.
    »Das hier.« Meine Stimme klang gewürgt, zermalmt, vomwenige Zentimeter tiefer lauernden Weinen gewässert, aber durch all den Horror auch irgendwie ernst. Ich nahm die Zeitung mit beiden Händen vom Tisch, knüllte und schüttelte sie, als könnte ich so alle Buchstaben zu dem Dreck auf den Fußboden rieseln lassen.
    »Ach das«, sagte der Mann erschrocken mit dünn gewordener Stimme. »Meine Schwester war heute Morgen hier, die wohnt da. In Kerava. Was ist auf einmal los mit dir? Was ist damit? Mit der Zeitung?«
    »Ich muss gehen«, flüsterte ich.

Trotz meines taubblinden Hastens gelangte ich wohlbehalten über die Zebrastreifen, Fahrbahnen, Straßenbahnschienen und durch die Menschenunmenge und schaffte es zum Sparkassenufer. Dabei registrierte ich, dass im Runden Haus auf einen Schlag die Lichter in einem ganzen Stockwerk ausgingen. Die Busse erzeugten Windstöße, welche mir Blätter und Abfall entgegenwirbelten, die Leute starrten mich an, was man ihnen nicht vorwerfen konnte, es ist sicher schwer, nicht hinzugucken, wenn eine weibliche Person mit ramponierter Nase wie ein durchgegangenes Pferd über die Straße galoppiert und dabei eine zerknüllte Zeitung umarmt.
    Vor dem Tor erstarrte ich kurz, auch wenn die Beine noch immer ihre hastige Bewegung fortsetzten. Es sah wahrscheinlich aus, als litte ich unter monumentalem Harndrang. Ein abgelegener Winkel in meiner Denk- und Fühlmaschinerie befahl mir, nach Hause zu eilen, unter die Decke zu kriechen, die Finger in die Ohren zu stecken und zu heulen. Gleichzeitig wurde an einem anderen Ende gerufen, lauf weiter, gute Frau, lauf weiter.
    Etwas musste ich tun. Aber als ich dann etwas tat, nämlich den Türcode in das Kästchen neben dem Tor eintippte, rutschte mir die Zeitung unter der Achsel heraus, fiel auf die Erde und ging genau an der richtigen, also an der falschen Stelle auf.
    Falsche Marktforscherin in Kerava unterwegs
    In den letzten Tagen sind bei der

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