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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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durchs Fenster, es war so scharfkantig, dass es regelrecht metallisch schmeckte. Auch gedämpftes Rumpeln drang durch die Scheibe, weil auf dem Marktplatz der Müll zusammengeschoben wurde. Ich saß da und erwiderte Virtanens Blick und wunderte mich über die irgendwie unfreundliche Wortkargheit, die ich neuerdings kultivierte, eigentlich seit dem einen langen Tag, an dem ich bei den Hätiläs und danach bei den gequält wirkenden Jokipaltios gewesen war. Jetzt sehnte ich mich nach Wärme und Sicherheit, und wie es aussah, setzte ich dabei ausgerechnet auf den Gerümpelhaufen bei Virtanen. Abweisend wollte ich auf keinen Fall wirken.
    Nach einer Weile gab Virtanen ein Aha von sich und machte den Eindruck, als würde er es nicht wagen, weitere Fragen zu stellen. Ich meinerseits konnte ebenso wenig fragen oder sagen, mir schienen die Zähne zusammengeschmolzen zu sein. Ich atmete pfeifend heiße Luft durch die Nase ein und aus und befingerte und fältelte einen Kassenbon, den ich vom Tisch gepflückt hatte. Als ich ihn auf Stecknadelkopfgröße zusammengeknüllt hatte, faltete ich ihn wieder auseinander. Die Liste der Einkäufe war flüssiger Natur: ein Sechserpack Bier, verfallsdatumsreduzierter Joghurt und ein Liter Rohrreiniger. Da erwachte sogleich die hoffnungsfrohe Gewissheit, dass der arme Mann wenigstens Letzteren nicht die Kehle heruntergespült hatte.
    »Ja, eigentlich weiß ich gar nicht«, sagte ich dann. Zwar hätte ich gern eine Kulisse aufgestellt und überhaupt alles schön zusammengehalten, aber gleichzeitig hatte ich Lust, einfach nur ehrlich zu sein; mir schien, dass man vor Virtanennicht unbedingt Angst haben musste. »Ich weiß übrigens selber nicht«, redete ich weiter und starrte auf die Tischplatte, wo die klebrigen Spuren von Flaschenböden immer mehr wie olympische Ringe aussahen. »Ich wollte heimgehen. Bin dann auch heimgegangen. Und dann doch hierhergekommen.«
    Er sah mich mit seinen mitfühlenden, halb betrunkenen Kuhaugen an und sagte verdattert: »Ach.«
    »Eigentlich hab ich nicht mal irgendwelche Unterlagen dabei.«
    »Äh, Unterlagen?«
    »Weißt du überhaupt noch, wer ich bin?«
    Er baggerte in seinen vor Schmutz verschieferten Haaren. Schuppen rieselten ihm auf die Schultern. »Doch, schon«, sagte er dann abrupt. »Es ist doch nichts Schlimmes oder so passiert?«
    Einen Moment lang tanzte ein diffuser Gedankenkreis in meinem Kopf Polka. Beteiligt waren Einschätzung, Abwägung, Angst und Hoffnung, und hinein passte auch die linde Genugtuung, dass er immerhin nicht gefragt hatte, ob alles okay war mit mir, und gleichzeitig wusste ich, dass er, Virtanen, doch irgendwie mich meinte. »Genau«, sagte ich. »Ja. Das heißt nein. Also nein.«
    Nichts an Virtanens Gestalt regte sich, aber irgendwie merkte man, dass er wartete.
    »Ich weiß eigentlich nicht«, sagte ich und fügte hastig hinzu: »Mein Sohn hat mir ein Auto gebracht.« Es war schwer zu sagen, warum von allen Dingen auf der Welt nun ausgerechnet das aufs Tapet gezerrt werden musste, aber mir fiel nichts anderes ein, irgendetwas bedrückte mich, und das hatte auf irritierend ungeordnete Weise mit Irja und ihrem Mann zutun, unmöglich zu sagen, woher plötzlich die Sorge um Leute kam, die man kaum kannte, aber es bereitete mir trotzdem Sorgen, das ganze Kerava, diffuse schwarze Staubschwaden waberten mir im Kopf herum, schlimme Vorahnungen. Unmöglich, davon so zu erzählen, dass der andere es verstand.
    »So, so«, sagte Virtanen. »Aber das ist doch eigentlich gut, oder?«
    »Was?«, fragte ich. Für einen Moment fürchtete ich, laut gedacht zu haben.
    »Na, das Auto. Dass ein Auto da ist. Dass man ein bisschen was von einem Auto hat.«
    Er klang ganz nach dem Jungen, dieser Virtanen, also nach meinem Jungen, nicht nach einem kleinen Jungen wie bei meinem letzten Besuch, und schon wälzte ich im Kopf wieder allerlei Verdächtigungen, dachte dann aber, dass sie sich einfach wie Männer anhören, die Männer. »Mhm«, sagte ich, »ich weiß bloß überhaupt nicht, was ich damit soll.«
    »Mhm«, sagte Virtanen und kratzte sich den Bauch. »Man könnte damit vielleicht ein bisschen rumfahren.«
    »Mhm, natürlich.«
    »Also, ich versuch jetzt bloß so ein bisschen Smalltalk zu machen«, sagte er schüchtern. »Oder. Ich weiß nicht, ob es das ist, na ja, irgendwas halt, man muss ja reden. Irgendwas. Aber es schadet doch sicher auch nichts, das Auto, meine ich.«
    Ich brummte zur Bestätigung ein Mhm, es ging mir allmählich

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