Der Tag der Traeume
jetzt, dass sie niemand heimlich hasste.
»Das klingt ziemlich absurd«, erwiderte sie unsicher. »Ich bin sicher, Sie meinen es gut, aber ich kann ohne hieb- und stichfeste Beweise niemanden direkt beschuldigen.«
»Einen Beweis kann ich dir liefern. Mildred unten im Postamt steckt schon seit Jahren Kataloge von Firmen in Lisas Postfach, die … wie soll ich es ausdrücken? … recht ausgefallene Unterwäsche vertreiben.«
Kendall atmete tief durch. »Hat Mildred irgendwelche speziellen Kataloge erwähnt?«
Raina lachte. »Ich wusste, dass du danach fragen würdest, deshalb habe ich auch Mildred nach allen Regeln der Kunst verhört. Sieht so aus, als würde unsere Freundin Lisa so ziemlich alles Einschlägige beziehen, von Victoria’s Secret über Feminine and Flirty bis hin zu Risqué Business. Sagt dir einer dieser Namen etwas?«
»Allerdings.« Das bewusste Foto stammte aus Risqué Business. Kendall räusperte sich. Etwas wie Erleichterung stieg in ihr auf. Der Feind hatte ein Gesicht und ein Motiv. »Vielen Dank, Raina. Gut, dass ich jetzt Bescheid weiß.«
Die andere Frau seufzte. »Ich wusste erst gar nicht, ob ich dir das sagen sollte, aber als ich dann gesehen habe, wie Lisa sich bei Norman’s aufgespielt hat, fand ich, dass sie einen Denkzettel verdient. Ich schäme mich, dass ich diese Person auch noch ermutigt habe, Jagd auf meinen Sohn zu machen. Deshalb wollte ich meinen Fehler auch wieder ausbügeln. So, und jetzt muss ich Schluss machen, Erics Familie wartet auf mich.«
»Noch mal danke, Raina.«
»Gern geschehen, Kendall. Du weißt ja, deine Tante gehörte für mich fast zur Familie, genau wie du. Mach’s gut.«
Raina hängte ein, und Kendall klappte ihr Handy zu. Erst jetzt merkte sie, dass sie zitterte, aber nicht vor Angst, sondern vor Wut. Wut auf Lisa.
Den Bruch mit Rick hatte Kendall ganz allein verschuldet, das wusste sie. Lisa Burton hätte nie einen Keil zwischen sie treiben können, wenn Kendall nicht den Kopf verloren hätte. Und ihr dämmerte, dass sie auch ohne Lisas Eingreifen früher oder später die Flucht ergriffen hätte. Irgendein Vorwand hätte sich schon gefunden. Aber damit ist jetzt Schluss, dachte sie voller Stolz.
Trotzdem musste Lisa für den Streich, den sie ihr gespielt hatte, zur Rechenschaft gezogen werden. Immerhin hatte sie die traditionelle Diashow der Stadt sabotiert und Kendall aus purer Eifersucht öffentlich bloßgestellt. Kendalls Beziehung zu Rick mochte ja in die Brüche gegangen sein, aber Lisa hatte keine Chance bei ihm, was Rick ihr oft genug unmissverständlich klar gemacht hatte.
Wenn Kendall in der Stadt bleiben wollte, war es an der Zeit, sich klar und deutlich zu ihren Plänen, Träumen und Zielen zu bekennen. Eines dieser Ziele hieß Rick Chandler.
Was bedeutete, dass sie Lisa Burton ein für alle Mal in ihre Schranken weisen musste.
Rick fühlte sich äußerst unbehaglich, als er Norman’s Restaurant betrat. Als seine Mutter ihn vor ein paar Minuten auf der Wache angerufen und ihn gebeten hatte, sich nach Dienstschluss mit ihr und Erics Familie hier zu treffen, hatte er ihr diesen Gefallen nicht abschlagen können, obwohl seine Wut über ihre erfundene Krankheitsgeschichte noch immer nicht verraucht war.
Aber da er wusste, dass sie nur sein Bestes wollte, auch wenn sie dabei zu recht unorthodoxen Methoden griff, brachte er es nicht fertig, ihr Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Sie war seine Mutter, und er liebte sie.
Sowie Raina ihn sah, kam sie auf ihn zu und umarmte ihn fest. Erleichterung und Dankbarkeit waren ihr deutlich anzumerken. »Ich bin ja so froh, dass du gekommen bist!«
Rick erwiderte ihre Umarmung, wobei er Gott im Stillen dafür dankte, dass sie kerngesund war, dann trat er einen Schritt zurück. »Wo steckt denn Chase?« Vermutlich hatte Raina ihn ebenfalls zum Dinner mit Erics Familie eingeladen. Roman und Charlotte waren noch in D. C.
»Dein Bruder kommt später«, erklärte Raina, ohne Rick dabei ins Gesicht zu sehen.
Rick hatte Chase noch nicht über Rainas Lügengespinst aufgeklärt, was ihn selbst verwunderte, immerhin hatte er ja Roman bittere Vorwürfe gemacht, weil dieser so lange geschwiegen hatte. Aber Chase war in der letzten Zeit so beschäftigt gewesen, dass Rick einfach nicht dazu gekommen war, ihm die Wahrheit zu sagen. Jetzt musste er aber erst einmal herausfinden, was seine Mutter von ihm wollte. Sie schien schon wieder irgendetwas im Schilde zu führen.
Dieses Treffen roch plötzlich
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