Der Tag des Königs
den Mutigsten zu verzagen. Ich selbst, Robinson, konnte mich zuweilen eines Angstgefühls nicht erwehren und musste ihm leise zurufen: âºNicht zu laut, Rouget, du machst mir Angst.â¹
Leider konnte Rouget nicht nur das Gebrüll der Wilden nachahmen, sondern verstand sich noch besser auf die Ausdrücke der StraÃenjungen und auf das Fluchen. Spielend lernte ich auch das von ihm, und eines Tages entschlüpfte mir bei Tisch ein grober Fluch, ich weià selbst nicht wie. Allseitige Bestürzung! âºWer hat dir das beigebracht? Wo hast du das gehört?â¹ Das war ein Ereignis! Monsieur Eyssette wollte mich sofort in eine Besserungsanstalt einweisen; mein ältester Bruder, der Abt, empfahl, mich unverzüglich zur Beichte zu schicken, da ich doch nun das Alter der Vernunft erreicht hätte. Also brachte man mich zur Beichte. Eine schöne Bescherung! In allen Winkeln meines Gewissens musste ich einen Haufen alter Sünden aufstöbern, die ich in meinen sieben Jahren begangen hatte. Zwei Nächte hindurch schlief ich nicht. Denn von diesen verteufelten Sünden gab es einen ganzen Sack voll; die kleinsten hatte ich obenauf gelegt, aber das
nützte nichts, die anderen sah man dennoch hindurch, und als ich vor dem Pfarrer der Rekollekten in diesem engen Eichenschrank kniend all das vorzeigen sollte, glaubte ich vor Furcht und Verwirrung sterben zu müssen.«
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Eine Viertelstunde vor Ende der Französischstunde betrat der Schuldirektor höchstselbst unser Klassenzimmer. Er strahlte übers ganze Gesicht. Ich sah ihn zum ersten Mal aus nächster Nähe. Er wirkte sehr bedeutend. Er spielte ernsthaft die Rolle einer sehr bedeutenden Person. Ein hoher Beamter, ein Staatsmann. Er war lächerlich. Der Schulaufseher und die Sekretärin begleiteten ihn. Alle drei hatten sie uns etwas GroÃartiges anzukündigen. Ihre Augen glänzten. Sie lächelten sich gegenseitig zu. Man hätte sie für Verrückte halten können. Für belanglose Verrückte.
Nachdem sie sich zwei Minuten mit Frau Cherki unterhalten hatten, wendeten sie sich uns zu. Der Direktor strahlte noch mehr als zuvor und ergriff nun fast aufgekratzt das Wort. Was er uns ankündigte, war keine Ãberraschung. Es war weit mehr. Etwas Unglaubliches, im wahrsten Sinn des Wortes.
Die Klasse saà während der feierlichen, fast königlichen Ansprache des Direktors wie versteinert da. Wir wussten nicht, wie wir reagieren sollten. Angst haben? Weinen? Lachen? Den Verstand verlieren, erst vor Glück und dann vor Eifersucht?
»Meine lieben Kinderchen, heute ist ein groÃer Tag, und das ist alles andere als übertrieben. Ein wahrlich groÃer Tag. Wir haben gewusst, dass wir auf der Warteliste standen. Aber heute, heute Nachmittag, um 14.50 Uhr, um genau zu sein, haben wir es bestätigt bekommen. Aus den besten Schülern des Königreichs Marokko im laufenden
Schuljahr wurde ein Schüler unseres Collège ausgewählt. Er wird also nächste Woche der Zeremonie beiwohnen, dem Empfang, den unser König Hassan II . â möge Gott ihn preisen â organisiert, um die besten Schüler und Studenten des Landes zu ehren. Wie gesagt, heute ist ein groÃer Tag. Eine groÃe Ehre für uns alle. Für euch, meine lieben Kinderchen, aber auch für uns. Für unser Collège. Für unsere Stadt Salé. Und wenn ihr gestattet, eine persönliche Ehre für mich. Es ist das erste Mal, dass mir so etwas in meiner Karriere widerfährt. Es ist ein Ereignis. In mehrfacher Hinsicht. Ein denkwürdiger Augenblick. Ohne Ãbertreibung darf ich euch sagen, dass unser Collège mit dem heutigen Tag in die Geschichte dieses verehrten Landes eingeht.
Ich bin sehr, sehr, sehr glücklich. Und ich zähle auf euch, dass auch ihr glücklich seid. Wir alle haben es verdient.â
Und dieses Glück verdanken wir der auÃergewöhnlichen Intelligenz und der hartnäckigen, stetigen Arbeit, der groÃartigen Bildung eines Schülers, der sich hier unter euch befindet, eben in dieser Klasse. Ihr habt recht gehört: Dieser Schüler ist einer eurer Kameraden.
Habt ihr erraten, welcher? Ja? Nein?
Ich möchte die Spannung nicht länger hinauszögern. Dieser Schüler ist der brillante Khalid El-Roule.«
Der Direktor schwieg einen Moment, um genügend Platz und Zeit für den Applaus zu lassen. Dieser blieb aber aus.â
Die Klasse stand unter
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