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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdellah Taïa
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sie? Das ist ungerecht. Findest du das etwa gerecht? Rede. Rede mit mir. Sag etwas. Sprich.«
    Er hatte recht, mein Vater.
    Er hatte getrunken.
    Er hatte recht in einem: dem Trübsinn. Khalid hatte mich verraten. Ich stand noch unter Schock, war untröstlich. 
    Der Sommer war trist. Das Leben, vermischt mit billigem Rotwein, war trist. Von nun an sollte es sich so anfühlen. Und der freudig-festliche Kuskusabend würde daran nichts ändern.
    Ich hatte nicht getrunken. Aber ich war auch betrunken. Bestimmt aus Solidarität mit meinem Vater, der es schon seit langem war.
    Ich hatte ihn so bei meiner Rückkehr aus dem Collège vorgefunden. Er bereitete in der Küche den Kuskus und trank dabei Wein. Eine beliebte Musik begleitete ihn dabei, die seines Lieblingssängers El-Houcine Slaoui.
    Ich hatte ihm angeboten, ihm zu helfen. Doch ganz offensichtlich gab es nichts mehr zu tun. Das Gemüse und das Fleisch waren fast gar. Der Grieß halb gar. Man musste al
les nur im Auge behalten. Damit es nicht anbrannte! Damit es nicht überkochte! Damit das Ergebnis so wurde, wie es sein sollte, perfekt.
    Â»Ich kann dir Minztee mit Wermut zubereiten, wenn du willst, mein Sohn.«
    Â»Gerne. Aber . . . es ist doch Sommer, Papa, da gibt es keinen Wermut auf dem Markt.«
    Â»Bist du da sicher?«
    Â»Da bin ich mir sicher.«
    Â»Hundertprozentig?«
    Â»Ich bin mir sicher, dass wir Sommer haben. Wermut gibt es aber nur im Winter.«
    Â»Wir haben Sommer?«
    Â»Hast du das noch nicht bemerkt, Papa?«
    Â»Nicht wirklich, mein Sohn.«
    Â»Du willst mich wohl veräppeln.«
    Â»Veräppeln! Nein, nein . . . Ich will nur mit dir mein Vergnügen teilen.«
    Â»Ich bin ja bei dir . . . Ich bin ja bei dir, Vater.«
    Â»Hast du schon einmal Wein getrunken?«
    Â»Nein. Nein. Noch nie.«
    Â»Sag die Wahrheit! Sag die Wahrheit!«
    Â»Das ist die Wahrheit!«
    Â»Die Wahrheit, sagst du? Es klingt aber nicht wie die Wahrheit.«
    Â»Aber es ist die Wahrheit. Wirklich.«
    Â»Lüg mich nicht an, ich bin dein Vater.«
    Â»Ich habe noch nie Wein getrunken, sage ich doch.«
    Â»Nicht einmal mit deinem reichen Freund Khalid?«
    Â»Khalid ist zu empfindlich, Wein bekommt ihm nicht.«
    Â»Das gibt es nicht, jedem bekommt und schmeckt Wein doch. Und wir Muslime, wir werden alle eines schönen Tages schließlich welchen trinken, und wenn es nicht hier
auf Erden ist, dann eben da oben im Paradies. Und dann mit dem Segen Allahs.«
    Â»Du redest Unsinn, Vater.«
    Â»Ja, ja, mag sein, dass ich Unsinn rede. Also nutze es aus und trink mit mir. Ich bin dein Vater, ich erteile dir die Erlaubnis, Wein zu trinken. Glaube nicht, was die anderen sagen. Es ist keine Sünde, mein Sohn. Es ist keine Sünde.« 
    Â»Was ist eine Sünde, Vater?«
    Â»Eine Sünde ist . . . das ist . . . das ist, wenn man das Leben nicht liebt. Wenn man vor dem Leben flieht. Wenn man flieht, eine Familie im Stich lässt . . . und flieht.«
    Â»Jetzt möchte ich gerne, dass du mir Tee machst, Vater. Später trinke ich vielleicht einen Schluck Wein mit dir.« 
    Â»Ach ja, mein Sohn, trink mit mir, trink mit mir. Es gibt nichts Traurigeres, als allein zu trinken. Trink, und ich erzähle dir Geheimnisse.«
    Â»Versprichst du das?«
    Â»Ich verspreche es . . . von ganzem Herzen.«
    Â»Dann werde ich es tun, Vater. Aber zuerst den Tee. Ich behalte den Kuskus-Kochtopf im Auge. Bereite mir Tee zu. Du bist der König des Minztees.«
    Â»Das stimmt nicht.«
    Â»Das hat Mama aber immer gesagt.«
    Â»Soso!«
    Â»Ja, ich habe gehört, wie sie es manchmal zu ihren Kusinen gesagt hat.«
    Â»Bist du dir sicher?«
    Â»Ganz sicher, ja. Und ich weiß auch, dass du der König des Minztees bist.«
    Â»Ah! Mein Sohn, ich mag dich schrecklich gern. Komm her, komm her, lass dir einen Kuss geben, lass dich ganz fest drücken. Komm. Komm . . .«
    Ein bisschen Freude.
    Später trank ich ein Gläschen Wein, um ihm einen Gefallen zu tun.
    Er verriet mir ein Geheimnis.
    Â»Nachts, wenn ihr schlieft, dein Bruder und du, trank deine Mutter mit mir . . . viel . . . viel . . . viel Wein.«
    Das war kein Geheimnis für mich. Ich sagte es ihm aber nicht.
    Â 
    Der Kuskus meines Vaters war missraten. Zu salzig. Zu wässrig.

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