Der Tag des Königs
dieser ewigen Leier.«
»Genau das will ich ja.«
»Aha.«
»Ja.«
»Hör auf, bitte. Erzähl deine Geschichte. Sie interessiert mich, erzähl.«
»Ich weiÃ, dass Hassan II . dich interessiert. Ich weià warum. Er kommt aus derselben Welt wie du.«
»Sehr schlau!«
»Nicht so schlau wie du, schon klar. Kann ich akzeptieren.«
»Du Idiot! Erzähl schon. Du nervst mich. Erzähl.«
»Er hat sich vor meinen Augen umgezogen.«
»Hassan II .?«
»Ja. Der König zog sich vor meinen Augen um.«
»Du hast ihn also nackt gesehen?«
»Ja .â.â. Ja, ich glaube schon.«
»Nackt .â.â. splitternackt?«
»Vollständig nackt.«
»Und dann?«
»Ich hatte den Eindruck, er war .â.â. er war .â.â.«
»Was? Was denn?«
»Dass er nicht mehr der König war. Aber das hat kaum eine oder zwei Sekunden gedauert. Eine Minute oder zwei. Es war mitten im Traum. Aber dieser Teil ist nicht der wichtigste. Es ist etwas anderes passiert, etwas Furchtbareres. Ein richtiger Alptraum.«
»WeiÃt du was? Fang noch mal von vorne an. Aber dieses Mal meine ich es ernst. Erzähl alles, alles. Ich hoffe, du erinnerst dich an alles?«
»Ja, ja, ich erinnere mich an alles. Es war kein Traum. Es war Wirklichkeit.«
»Echte Träume sind immer so, sie fühlen sich immer an wie die Wirklichkeit.«
»Hör auf, herumzuphilosophieren. Ich fange noch mal von vorne an. Ich beginne mit .â.â. Aber versprich mir, dass du all das für dich behältst. Ich will nicht ins Gefängnis. Versprich es! Der Arme bin ich. Nicht du. Versprich es! Schwöre es.«
»Ich verspreche es! Schieà los.«
»Schwöre!«
»Ich schwöre.«
»Also, es war so .â.â.«
Es war halb vier, als ich Khalid meinen Traum zu Ende erzählt hatte. Jetzt mussten wir ins Collège. Wir hatten zwei Stunden Französisch. Grammatik in der ersten Stunde, Lesen in der zweiten.
Wie jeden Mittwoch hatte ich bei Khalid einen Teil des Nachmittags verbracht, bevor wir in den Unterricht gingen. Diese Tradition bestand seit vier Jahren.
Es war das letzte Mal. Aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Wie gewöhnlich kam ich nach dem Mittagessen, gegen zwei, in seine Villa. Bei Khalid zu Hause hielten alle Mittagsschlaf. Hadda, das Hausmädchen, öffnete mir. Sie erwartete mich direkt neben der Tür, um mich vom Klingeln abzuhalten. Ihre Herrin, Khalids Mutter, wäre sonst aufgewacht. Das durfte keinesfalls geschehen. Das arme Hausmädchen hätte es büÃen müssen.
Ich liebe Hadda.
Hadda ist schwarz. Sie ist sehr groÃ. Ihr Alter ist schwer zu schätzen. Zwanzig Jahre?
Sie ähnelt einer Frau, die ich als Kind flüchtig gekannt habe. Wer? Wo? Eine Verwandte? Eine schwarze Verwandte?
Hadda spricht nicht. Hat man ihr die Zunge abgeschnitten? Hat sie nichts mehr zu sagen? Hat sie schon alles gesagt? Alles? Alles? Ich habe gehört, dass sie stumm geworden ist.
Hadda tut, was man ihr sagt. Sie hört zu. Sie antwortet nie. Ohne einen Ton zu sagen, schreitet sie voran. Sie ist da. Und zugleich ist sie nicht mehr da.
Sie öffnete rasch die Haustür, packte mich am Arm und
legte den rechten Zeigefinger auf den Mund, um mir zu verstehen zu geben, dass ich auf keinen Fall Lärm machen durfte. Sie versuchte, streng und hart zu wirken, doch es passte nicht zu ihr. Ich lachte nicht über sie. Ich würde nie wagen, sie auszulachen.
Ich folgte ihr. Ein üppiger Körper, zutiefst schwarz. Ein unermesslicher, ganz neuartiger Körper. Schön? Ein Körper für Männer, für Heilige, für Götter. Und Kinder. Ein Appell.
Ich folgte ihr. An ihren riesigen Hintern geheftet. Eine Welt für sich. Ein Geheimnis. Ein Brunnen. Ein Dialog ohne Worte. Ich folgte ihr, und wie jedes Mal, wenn ich sie sah, stellte ich mir dabei dieselben Fragen.
Wo sind Haddas Ursprünge? Aus welchem Wald kommt sie?
Irgendwo in dieser Welt, auf dieser Erde gab es Bande zwischen uns beiden, unseren Ursprüngen. Bande, in denen ihr Blut sich mit dem meinen vereinigte, in denen meine und ihre Haut eins wurden. Schwarz, zwangsläufig.
Im Gegensatz zu den meisten Marokkanern hatte ich nichts gegen Schwarze.
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Khalid lag ausgestreckt auf seinem Bett. Er wartete auf mich. Er schlief nicht.
Khalid ist Naturwissenschaftler. Ich bin
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