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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdellah Taïa
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allein. Allein und neben dir. Allein und noch immer an dich festgeklammert. Aber du warst fern, fern, fern mit Hassan II ., bei Hassan II . Was ich auch tun mag, mir wird es nie gelingen, das zu erreichen, dieses Erfolgsniveau, von einem König empfangen zu werden. Ja, ich war eifersüchtig und ich war bereit, diese Eifersucht zu vergessen, sie zu ersticken, hättest du mich nur angesehen, hättest du mir auch nur leise zugepfiffen, wie wir es manchmal in deinem Zimmer machen. Ein Zeichen gegeben, dass ich für dich noch existierte. Dass für mich noch Hoffnung bestand. Dass meine Zukunft zwar weniger glorreich sein würde als deine, doch dass es möglich wäre, dass . . . Nichts. Nichts. Seit gestern gibt es keine Zukunft mehr. Du bist davongeflogen. Und ich, ich habe verzichtet. Ich bin geblieben, wo ich war. Von nun an wird mir niemand helfen. Weder du. Noch meine Mutter. Und schon gar nicht mein Vater.«
    Â»Verzeih mir, Omar. Das war mir nicht bewusst.«
    Â»Wer ist Hassan II .? Das ist eine ernst gemeinte Frage.
Wer ist Hassan II .?«
    Â»Was soll ich da antworten? Ich weiß über ihn auch nicht mehr als du. Er gehört zur Dynastie der Alawiten. Er ist König seit dem 3. März 1961. Er hat zwei Jungs, drei Mädchen. Und bestimmt Bastarde, die für immer totgeschwiegen werden.«
    Â»Hör auf. Nicht über diesen Hassan II . will ich mit dir sprechen. Ich möchte lieber, dass du mir sagst, was ich nicht weiß, was ich niemals erfahren werde, was ein Armer wie ich von dem Charakter und der Geschichte dieses Königs nicht einmal ahnen würde. Etwas, was du von deinem Vater und seinen bedeutenden Freunden weißt. Ein Staatsgeheimnis. Ein Gerücht. Eine seltsame Geschichte. Eine Verschwörung. Ein bevorstehender Putsch. Ich hätte den Wunsch, ich, der den König nie aus nächster Nähe zu Gesicht bekommen wird, etwas Unglaubliches, etwas Undenkbares über ihn in der Hand zu haben. Und dass das von dir kommt. Dass dieses mit mir geteilte Geheimnis dein letztes Geschenk an mich ist. Der Beweis, dass unsere Freundschaft trotz der kommenden Jahre, trotz der gestern begonnenen Trennung lebendig bleiben wird. Ich will, dass du mir sagst, was du über Hassan II . weißt. Ich will es. Zwinge mich nicht, dich anzuflehen.«  
    Â»Omar, sei vernünftig. Ich weiß nicht mehr über Hassan II . als du.«
    Â»Dann schwöre es.«
    Â»Ich schwöre nicht gern.«
    Â»Na bitte, Khalid.«
    Â»Was?«
    Â»Vor drei Monaten, fast auf den Tag genau, hat dir deine Freundin Leïla erzählt, dass sie mit einem anderen geht. Sie sei noch immer in dich verliebt, doch dem anderen Jungen sei es dennoch gelungen, sie zu verführen. An
fangs war das überhaupt kein Problem für dich. Du hast zu mir gesagt: »Ich bin modern.« Aber als du erfahren hast, wer der andere war, war es nicht mehr das Gleiche. Der andere war der Sohn eines großen Generals, eines in diesem Land so wichtigen Generals, dass sein Name jedem Angst einjagt. Erinnerst du dich an deine Reaktion? An deine Tränen? An dein Schamgefühl? An deine Machtlosigkeit? Wir beide lagen in deinem Bett, im Dunkel deines Zimmers, wir spekulierten über das herannahende Weltende, und plötzlich hast du mir alles erzählt. Alles über den anderen gesagt. Über Leïla, die dir durch die Lappen ging. Und du hast geweint. Nicht allein. Ich war da. Ich sagte nichts. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Aber ich trocknete deine nicht versiegenden Tränen. Ich verstand dich. Dem Generalssohn gegenüber warst du arm. Ihm gegenüber warst du machtlos. Du warst nicht mehr modern. Du warst nicht mehr stolz. Du hast dich klein gefühlt. Du warst es nicht. In meinen Augen warst du noch immer groß. Ich habe dich aufgerichtet. Ich habe dich geliebt. Erinnerst du dich, Khalid, erinnerst du dich daran?«
    Â»Ich erinnere mich, Omar.«
    Â»Verstehst du, warum ich dir all das erzähle? Hast du den Bezug begriffen?«
    Â»Hab ich, Omar.«
    Â»Verstehst du meine Reaktion auf deine Einladung in den Königspalast? Meine Eifersucht? Meine Raserei? Meinen Tod?«
    Â»Ich glaube schon.«
    Â»Aber sicher bist du dir nicht?«
    Â»Du hast recht, wir stammen nicht aus derselben Welt. Du hast recht, ich begreife nicht alles von dir. Du hast recht, ich war völlig fertig, als mir Leïla den Namen des
anderen gesagt hat. Du hast recht.

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