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Der Tag wird kommen

Der Tag wird kommen

Titel: Der Tag wird kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Vogt- stli
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verprügeln, auch wenn ihm das Spaß macht.
    Fera:
    Ich sage nicht, dass er das Recht hat zu tun, was er will. Aber wenn er so geboren wurde, ist es vielleicht schwer für ihn, anders zu handeln?
    Hans Petter:
    Das ist dasselbe, wie wenn man sagt: Er ist nicht böse, er weiß es nur nicht besser. Wenn er böse ist, dann macht er ja schlimme Sachen, weil es ihm gefällt.
    Fera:
    Vielleicht hast du recht. Er quält dich, seit du fünf Jahre alt bist?
    Hans Petter:
    Am Anfang noch nicht so … Aber können wir nicht über was anderes reden? Ich dachte, du willst wissen, wie das Leben früher war?
    Fera:
    Das will ich. Wie ist das so, wenn man mit seiner Mutter zusammenlebt? Ist das schön?
    Hans Petter:
    Schön, was heißt schön? Sie ist nicht die schlechteste Mutter. Sie ist wohl ungefähr so, wie eine Mutter sein soll, vielleicht etwas besser.
    Fera:
    Aber du lebst nicht mit deinem Vater zusammen?
    Hans Petter:
    Nein. Nur mit meiner Mutter.
    Fera:
    Ist das normal?
    Hans Petter:
    Ja. Ziemlich. Viele wohnen mit beiden Eltern zusammen. Manche haben geschiedene Eltern und wohnen mal bei der Mutter und mal bei dem Vater. Und manche eben nur bei einem.
    Fera:
    Deine Eltern sind also getrennt?
    Hans Petter:
    Nein, sie waren nie zusammen. Ich bin eine Art Unfall. Sie haben sich in der Stadt kennengelernt oder so, und schwupps, bin ich entstanden.
    Fera:
    Ist das erlaubt?
    Hans Petter:
    Was denn?
    Fera:
    Auf die Art Kinder zu machen? Ohne Genehmigung und Planung?
    Hans Petter:
    Haha. Ja, hier in meiner Zeit ist das absolut erlaubt. Man kann die Schwangerschaft ja abbrechen, wenn man das Kind nicht haben will.
    Fera:
    Abbrechen? Man kann sie rückgängig machen?
    Hans Petter:
    Witzig. In der Zukunft gibt es keine Abtreibung? Ja, die Frau kann zum Arzt gehen und sich das Kind wegmachen lassen. Oder eine Pille oder so was nehmen, glaube ich.
    Fera:
    Ihr zeugt also Kinder, wie Tiere es machen?
    Hans Petter:
    Hm, das geht wohl in der Regel auf natürlichem Weg vor sich, ja. Falls man kein Homo ist oder aus anderen Gründen Hilfe braucht.
    Fera:
    Dann habt ihr keine Kontrolle über die Gene und darüber, wen ihr zeugt?
    Hans Petter:
    Kontrolle? Meinst du, wegen Krankheiten und so? Was glaubst du eigentlich, wie du entstanden bist?
    Fera:
    Wir werden in der Geburtsklinik gemacht. Du, ich muss jetzt aufhören. Ich schreib dir später eine Mail.
    Ich lache auf. Sie glaubt, dass ihre Eltern keinen Sex miteinander hatten. Das stellt sich wohl keiner gern vor, aber redet sie sich allen Ernstes ein, sie sei in einer Geburtsklinik entstanden? Hat der Storch sie gebracht, oder was? Oder ist sie ein Reagenzglas-Kind?
    Der Chat mit Fera hat mich ins Grübeln gebracht. Warum hat mir eigentlich keiner je erzählt, wie Mum und Dad sich kennengelernt haben? Die beiden sind immerhin so verschieden, wie man nur sein kann.
    Dad in dunkelbraunen Cordhosen und mit ungepflegten Bartstoppeln. Mum im engen Rock und mit Betonfrisur. Dad, der sein Studium mit so vielen Sternchen abgeschlossen hat, dass es für mehrere Leben reicht. Mum, die im Büro arbeitet und Mitglied im Buchclub ist.
    Wieso habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht? Bin ich nicht mal imstande, mir Fragen über mein Dasein zu stellen?
    Irgendwie war alles schon immer so. Mum und ich wohnen zusammen. Dad treffe ich ab und zu. Ich habe nie darüber nachgedacht, dass es auch anders sein könnte. Sie leben in zwei Welten, was ich bisher logisch fand, weil sie so unterschiedlich sind. Aber wie sind diese Welten aufeinandergetroffen und haben mich gezeugt? Ich glaube, das ist etwas, das ich klären sollte. Sicher keine große Sache, aber fragen kann ich ja. Wenn ich eine Gelegenheit finde. Bestimmt wird es ein bisschen komisch sein, das Thema nach fünfzehn Jahren anzusprechen.
    Mum ist wie so oft in der Küche. Ich mag es, sie unten rumoren zu hören. Das ist so, wie es sein soll. Aber in der letzten Zeit hat sie sich irgendwie verändert, ist neuerdings so aufgekratzt. Sie ist schon der Typ, der gern lächelt, nur jetzt ist sie außerdem noch so fröhlich. Sie redet weniger, dafür trällert sie mehr. Ich kann es nicht besser beschreiben. Es ist kein Summen, es ist kein Singen, es ist irgendwas Übermütiges, das aus ihr heraus trällert. Vielleicht hat sie aufgehört, sich so viele Sorgen zu machen. Das wäre gut. Das Trällern macht mich auch froh …
    … bis es mir irgendwann auf den Geist geht. Das Geträllere kriecht einem unter die Haut und die Wirbelsäule entlang. Fast wünsche

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