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Der Tag wird kommen

Der Tag wird kommen

Titel: Der Tag wird kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Vogt- stli
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chaotisches Seelenleben zu reden. Letzterer Drang ist stärker. Schnell hat er sich warm geredet über seine inneren Dämonen, die ihn zu etwas unglaublich Besonderem machen. Gunnar nickt mitfühlend und glücklich. Daniels missmutige Leidensgeschichte, begleitet von Geschrei und vereinzelten wütenden Fußtritten gegen den Stuhl, auf dem der erschrockene Magnus sitzt, hält mich aus dem Rampenlicht heraus. Aber das dauert nicht ewig.
    »Ja, ja, Daniel. Du hast es wirklich schwer«, sagt Gunnar, als er endlich eine Gelegenheit findet, den Wortschwall zu unterbrechen. »Und du, Hans Petter. Hast du nicht auch ein paar Probleme mit Andreas? Ich meine, natürlich sind wir nicht hier, um schlecht über jemanden zu reden, aber man kann ja auch den Stier bei den Hörnern packen, nicht wahr?«
    Gunnar blickt mich bohrend an und erwartet, dass ich loslege.
    »Wieso sind wir eigentlich hier?«, frage ich.
    »Ich dachte, das hätte ich bereits klargemacht? Ich hoffe, dass ihr euch gegenseitig helfen könnt. Eure Opferrolle aufgebt. Eure Probleme anpackt.«
    »Und wie soll das aussehen? Sollen wir uns zusammentun und Andreas verprügeln?«, schlage ich vor.
    Daniel stößt ein kurzes Lachen aus. Gunnar zieht verärgert die Augenbrauen zusammen.
    »Selbstverständlich nicht, Hans Petter. Ich finde, du kannst mich ruhig ein bisschen ernster nehmen.«
    »Du willst doch, dass wir den Stier bei den Hörnern packen. Hast du nicht Andreas damit gemeint? Oder sind wir selbst das Problem? Ist es meine Schuld, dass Andreas mich so gern quält?«
    Langsam fange ich an, Gefallen an der Sache zu finden. Hier in der Gruppe kann ich wenigstens sagen, was ich will.
    »Empfindest du das so, Hans Petter?«
    »Nein. Ich finde, alle anderen sind schuld.«
    »Natürlich ist es nicht deine Schuld, das darfst du nicht glauben. Aber wenn man in einer Situation ist, die einem nicht gefällt, liegt es doch nahe, dass man versucht, etwas daran zu ändern. Verstehst du, was ich meine?«
    »Dass ich das Problem bin?«
    »Nein, nein. Aber wenn du vielleicht probierst, positiv zu denken, nach Möglichkeiten zu suchen – nicht nur du allein, sondern alle hier –, dann kannst du dein Problem selbst anpacken, eine Lösung finden. Man erreicht selten etwas, wenn man in der Opferrolle verharrt. Frag dich, was du selbst tun kannst, um die Situation zu verbessern. Was meinst du, Magnus?«
    Es gibt keinen Weg heraus.
    Jedenfalls nicht aus diesem Raum.
    Der arme Magnus hat Mühe zu begreifen, was Gunnar von ihm will. Vermutlich fühlt er sich wohl in der Rolle des Sonderlings und ist nicht darauf aus, irgendwas daran zu verändern.
    Gunnar redet und redet und bringt Daniel wieder in Fahrt. Ich habe das Gefühl, an seinem Gelaber zu ersticken.
    Die Lösung liegt ja auf der Hand: Andreas fertigmachen. Ihn zum Opfer machen. Das einzig Vernünftige, was bei diesem Treffen herauskommen könnte, wäre, wenn wir ein Komplott schmieden, um Andreas von seinem Thron zu stoßen. Aber ich kann mir kaum weniger geeignete Mitstreiter vorstellen. Ich habe jedenfalls nicht vor, ein Teil dieser Gruppe zu werden. Falls das hier rauskommt, sind wir abgestempelt. Ausgestoßene werden gemeinsam nicht stärker. Sie werden nur sichtbarer.

»Ja, wen haben wir denn da? Ist das nicht der Hans Petter, der da durch die Gegend schleicht?«
    Andreas springt von der Streusandkiste vor dem kleinen Supermarkt, kaum dass ich um die Ecke gebogen bin. Gunnar hat uns eine Stunde lang festgehalten. Ich hatte erwartet, dass ich so spät nach Schulschluss in Sicherheit wäre, und habe mir den Umweg durch den Wald gespart. Ich war nachlässig, sonst hätte ich merken müssen, dass er da sitzt und mir auflauert, aber jetzt ist es zu spät. Ich kann nicht wegrennen, das würde ihn nur aufstacheln, und ich darf nicht stehen bleiben, sonst hat er mich. Also gehe ich weiter. Ganz ruhig. Ohne zu antworten. Es war ja sowieso keine wirkliche Frage.
    Andreas nimmt einen letzten Zug aus seiner Kippe, lässt sie auf den Boden fallen und tritt sie mit dem Schuh aus.
    »Wie? Kein ›Hallo, Andreas‹? Wir sind immerhin Klassenkameraden. Es ist unhöflich, nicht zu grüßen.«
    Andreas reibt sich die Hände. Vielleicht nur, weil er friert, aber die Bewegung lässt ihn aussehen, als würde er sich auf etwas freuen. Jetzt ist es zu spät, um Hallo zu sagen. Aber es ist auch überdeutlich, dass er mich sowieso nicht in Ruhe lassen wird.
    »Hey! Hans Petter! Ich rede mit dir!«
    »Ich höre dich«, sage ich so gelassen

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