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Der Tag wird kommen

Der Tag wird kommen

Titel: Der Tag wird kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Vogt- stli
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Wartet eine ganze Weile, bis er seinen Stuhl mit den Hacken eine Winzigkeit näher heranzieht.
    »Danke, Daniel. Ihr wisst im Grunde nicht viel darüber, warum wir hier zusammen sind, aber obwohl ihr eine Gruppe von ganz verschiedenen Jugendlichen seid, möchte ich doch sagen, dass ihr etwas gemeinsam habt.«
    Spinnt der? Wir sollen was gemeinsam haben? Langsam kriege ich Angst, dass er uns hier zusammen einsperrt, damit wir Freunde werden. Dass er ein Mal zu viel Der Frühstücks-Club gesehen hat und denkt, er könnte ein soziales Experiment mit uns machen. Immerhin ist er alt genug, um den Film gesehen zu haben, übrigens Mums Lieblingsfilm.
    »Ich dachte, wir könnten uns ein-, zweimal pro Woche hier treffen und uns ein bisschen unterhalten. Jeder von euch hat es auf seine eigene Art schwer, aber ich glaube, ihr werdet feststellen, dass es guttut, sich mitzuteilen.«
    »Sollte sich nicht der Schulpsychologe um so was kümmern?« Daniel wusste offenbar auch nichts von Gunnars Plan. »Ich meine, bist du überhaupt qualifiziert für solche Gespräche?«
    »Ich habe Fortbildungen zum Thema Gesprächsgruppen gemacht und ich habe den Segen des Rektors. Falls sich herausstellen sollte, dass einer von euch psychologische Unterstützung braucht, werden wir dafür sorgen, dass er sie bekommt.«
    Bettina lacht ein bisschen darüber und Gunnar lächelt sie dankbar an.
    »Gut, zurück zum Zweck dieser Veranstaltung. Nächstes Jahr seid ihr hier fertig und kommt in die Oberstufe.«
    Gunnar macht eine kleine Pause, um diese revolutionäre Erkenntnis wirken zu lassen. Ja, es stimmt, das ist etwas, was wir gemeinsam haben, ebenso wie mit allen anderen in der zehnten Klasse.
    »Das kann ein Neuanfang für euch sein.«
    Erneute Kunstpause. Ich bin fast gespannt auf die Fortsetzung. Magnus sieht sehr verwirrt aus. Und ein bisschen ängstlich.
    »Ihr alle habt in unterschiedlichem Maße Schwierigkeiten in eurer bisherigen Schulzeit gehabt. Mitschüler können brutal sein, und wenn man aus der Masse herausfällt, ist es schwer, wieder einen Weg hineinzufinden. Aber ab dem nächsten Sommer seid ihr nicht mehr an die Rolle gebunden, die man euch hier zugeteilt hat. Ihr bekommt eine neue Chance.«
    Gunnar sieht uns der Reihe nach in die Augen und lächelt ernst dabei, damit wir begreifen, wie wichtig das ist, was er sagt.
    »Was wir hier üben wollen, ist unter anderem, wie ihr es vermeiden könnt, in die Rolle zurückzufallen, in die man euch hier an der Schule gedrängt hat. Aber dafür ist es wichtig, dass wir auch darüber sprechen, wie es uns geht. Nun, wer von euch möchte den Anfang machen?«
    Keiner sagt was. Bettina lächelt. Als Einzige. Magnus sieht weiter ängstlich aus und Daniel macht wie immer ein mürrisches Gesicht. Ich bin sauer, und bei dem Gedanken, durch welche Peinlichkeiten ich mich hier quälen muss, packt mich das kalte Grausen.
    »Bettina. Geht es dir gut?«, fragt Gunnar. Er beginnt dort, wo der Widerstand am geringsten ist.
    »Ja.«
    Bettina lächelt wieder.
    »Keiner, der gemein zu dir war? Du fühlst dich zur Zeit wohl?«
    »Ja.«
    Ihr Lächeln wird eine Idee angestrengter.
    »Mit wem redest du denn so in der Schule?«
    »Meistens mit den Mädchen in meiner Klasse.«
    »Aha. Fühlst du dich einbezogen in das, was sie so machen?«
    Ich frage mich, ob Gunnar merkt, wie scheiße das von ihm ist. Bettina wird natürlich nicht zugeben, weder vor sich selbst noch vor anderen, dass sie von allen geschnitten wird. Keines der Mädchen quält Bettina, aber sie drehen ihr immer den Rücken zu und ignorieren sie, wenn sie versucht, Kontakt aufzunehmen. Sie ist schon glücklich, wenn sie nur in der Nähe sein darf und so tun kann, als würde sie dazugehören. Aber Gunnars Projekt ist davon abhängig, dass wir uns mitteilen, deshalb wird er sie zwingen, ihren Selbstbetrug aufzugeben. Sie ist Spastikerin, und er will, dass sie darüber redet. Ihre plump geschminkten Augen werden feucht. Ich wünschte, Gunnar würde sie in Ruhe lassen.
    »Ich hab Hunger. Wie lange müssen wir hierbleiben?«, fragt Magnus und sein Blick irrt unruhig hin und her.
    »Nächstes Mal bringe ich Brötchen mit. Aber jetzt versuch mal, noch ein bisschen durchzuhalten. Das hier wird euch allen von Nutzen sein«, sagt Gunnar.
    »Glaub ich nicht, echt. Du hast keine Ahnung, wie das ist«, platzt es aus Daniel heraus. Er ist wohl hin- kiund hergerissen zwischen dem Wunsch, cool und introvertiert zu sein, und dem Bedürfnis, über sich und sein

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