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Der Talisman (German Edition)

Der Talisman (German Edition)

Titel: Der Talisman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth von Bismarck
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die Blätter im Bodhi-Baum rauschen. Ein Sog erfasste den Jungen und riss ihn mit sich – hoch über Kalkutta, über Indien und über die unendlich weite Wüste.



Inmitten gelber Wanderdünen lag die prächtige schwarze Zeltstadt Sulai. Natürlich bewohnte Sultan Abdul-Al-Faid el Aschra Kotowäi, der Herrscher von Suzibo, das größte und prächtigste Zelt in der Oase Sulai. An diesem Tag hatte der Sultan von Suzibo die allerschlechteste Laune, die man als Sultan nur haben konnte. Er stand in seinem Zelt vor seiner goldenen Sänfte und ließ die Kamelpeitsche bedrohlich durch die Luft zischen. Der dicke Sultan schäumte vor Wut und sein buschiger Schnurrbart sträubte sich wie ein Besen.
    Seine Leibgarde hatte ihm soeben gemeldet, dass eine Karawane Schwierigkeiten gemacht hatte. Reisende Kaufleute wollten den Tribut nicht bezahlen, der dem Sultan zustand. Schlimmer noch: Seine Soldaten waren mit Hohn und Spott davongejagt worden. Nun standen die fünf Männer der Leibgarde zitternd wie geprügelte Hunde vor ihrem Herrn und warteten auf die Strafe für ihre schlampige Arbeit. Im selben Moment entschied der Talisman, dass er den perfekten Landeplatz für Yasha gefunden hatte. Mit einem dumpfen Poltern landete der Junge bäuchlings auf einem bunt bestickten Teppich. Kleine Wolken aus Staub und Sand wirbelten hoch und glitzerten im Licht. Benommen kniff Yasha seine Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete, blickte er auf zwei riesige Stiefel und direkt vor seiner Nasenspitze glänzte bedrohlich der kalte Stahl eines gekrümmten Säbels.
    Bevor
    der verdutzte
    Junge einen klaren Gedanken fassen konnte, packten ihn zwei eklige, schweißnasse Hände und schüttelten ihn mächtig durch: »Du kleiner, widerlicher Sohn eines Wurms, du wagst es, den Sultan von Suzibo zu erzürnen?« Das Gesicht des dicken Herrschers lief hochrot an und sah aus wie ein reifer Kürbis, der gleich explodieren würde.
    Erschrocken drückte Yasha seinen Talisman an sich. Die Männer der Leibgarde waren froh, dass der Sultan seine Wut nun auf den unbekannten Jungen richtete und ihren Misserfolg mit der Karawane kurzerhand vergaß. Darum gaben sie sich besonders viel Mühe, grob zu sein. Schimpfend umkreisten sie Yasha und obwohl der Junge sich erbittert wehrte, dauerte es nur wenige Augenblicke, bis er gefesselt vor dem Sultan stand, der laut schnaufend auf seine goldene Sänfte gesunken war.
    In unterwürfiger Haltung überreichte einer der Gardisten seinem Herrn einen kleinen Gegenstand. Entsetzt erkannte Yasha seinen Talisman. Ohne seinen Talisman fühlte er sich wirklich wie ein elender Wurm! Der Sultan begann mit dem Talisman zu spielen, als wäre er ein Jo-Jo – rauf, runter, rechts, links …
    »Mein Talisman«, rief Yasha wütend, »das ist mein Talisman!« Der Hieb einer Peitsche traf sein Gesicht und der Junge schrie vor Schmerz auf. »Still, du Wurm!«, brüllte der Gardist. »Wie kannst du es wagen, so mit dem edlen Sultan von Suzibo zu sprechen?« Yasha biss die Zähne zusammen und beobachtete angespannt, wie sich der Sultan mühsam von seiner goldenen Sänfte hochstemmte und drohend auf ihn zu watschelte. Sein dicker Bauch wackelte dabei wie ein riesiger Pudding. Den Talisman ließ der feiste Herrscher vor sich hin- und herpendeln. »Das war einmal dein Talisman!«, lachte er boshaft. Dabei bebte sein kugelrunder Körper so heftig, dass sich das Zelt aufbauschte wie ein riesiges Segel, so gewaltig dröhnte dieses Lachen.
    Das hässliche
    Gesicht des Herrschers
    von Suzibo näherte sich Yasha und der Junge sah die fleischigen Nasenflügel beben wie die Nüstern eines blutrünstigen Ungeheuers. Yasha fing an, vor Angst zu schwitzen. Der Sultan wollte wissen, wie er es geschafft hatte, so plötzlich auf seinen wertvollsten Lieblingsteppich zu fallen und was er hier in Sulai zu suchen hatte. Ein knallender Peitschenhieb erinnerte Yasha daran, dass mit dem Sultan nicht zu spaßen war. Und so antwortete Yasha, dass er geflogen war. »Geflooogen?«, riefen die Männer der Leibgarde wie im Chor und rasselten bedrohlich mit ihren schweren Säbeln. »Na dann, Fremder, fliege jetzt noch einmal!«, verlangte der Sultan hämisch.
    Yashas Gedanken überschlugen sich. In Tibet hatte er es geschafft, ohne die Hilfe des Talismans zu fliegen. Aber so sehr er sich auch anstrengte, das wunderbar leichte Gefühl, mit dem er sich damals in die Lüfte erhoben hatte, wollte sich nicht einstellen.
    Sultan Abdul-Al-Faid
    el Aschra Kotowäi trommelte

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