Der Talisman (German Edition)
als »sein Gesicht zu verlieren« – und das war ihm eben, weiß Gott, passiert! Er begann entsetzlich zu fluchen, schrie seine Leibgarde an und brüllte: »Holt die Gefangenen, damit der hinterhältige Wurm eine Vorstellung davon bekommt, was Sultan Abdul-Al-Faid el Aschra Kotowäi mit seinem Schwert anrichten kann!« Dabei starrte er Yasha so grausam an, dass dem Jungen ganz schlecht wurde. Die Leibgarde beeilte sich, die Gefangenen zu holen. »Zwei sind tot, wir haben sie im Kerker liegengelassen«, meldeten sie dem Sultan. Im Zelt standen nun 20 Elendsgestalten. »Dvorach!«, brüllte Yasha. »Dvorach!« Laut hallte seine Stimme durch das Zelt. Einige der Gefangenen hoben erstaunt die Köpfe, aber die meisten blickten nicht einmal auf.
Fast wollte Yasha
verzweifeln, doch dann
hörte er, dass jemand in weiter Ferne seinen Namen rief: »Yasha! Yasha!« Suchend spähte der Junge durch die Lüftungsluken und entdeckte zwei Personen, die sich vorsichtig aus dem Höhleneingang schlichen. Es waren die beiden, die sich tot gestellt hatten. Immer wieder schauten die Gefangenen suchend in die Richtung, aus der sie Yashas Stimme vernommen hatten. Aber natürlich konnten sie ihn nicht sehen, denn Yasha saß ja noch immer im Zelt, hoch oben auf dem Kronleuchter. Eine gefährlich lange Weile warteten die zwei versteckt hinter einer Palme und beobachteten den Eingang zum Zelt des Sultans. Doch plötzlich bestiegen sie ein Kamel und verschwanden eilig zwischen den Dünen.
Kein Zweifel, das waren seine Eltern! Yasha war todunglücklich und kämpfte mit den Tränen, er war seinen Eltern so nahe und nun saß er hier fest …
Unten im Zelt schien sich ein Blutbad anzubahnen. »Halt!«, schrie Yasha verzweifelt. »Tötet die Gefangenen nicht, großer Sultan! Ich werde euch meinen Talisman überlassen und all seine Geheimnisse preisgeben. Ihr werdet fliegen können. Gold und Diamanten werden sich in euren Kammern häufen. Ihr könntet der Mächtigste aller Sultane, Emire und Scheichs werden!«
Der Junge sah,
dass die
kleinen Schweinsäuglein des Sultans gierig zu funkeln begannen. Doch der Sultan war misstrauisch, schließlich hatte der fliegende Junge ihn gerade schon einmal an der Nase herumgeführt und ihn zum Gespött seiner Männer gemacht. Darum forderte er Yasha auf, ihm zu beweisen, wie reich er werden könnte, nur dann würde er die Gefangenen verschonen.
»Talisman, ich bitte dich!«, flehte Yasha seinen Talisman an und siehe da: Schon fiel dem Sultan ein Diamant, so groß wie ein Taubenei, in den Schoß. Gierig nahm der fette Herrscher den kostbaren Stein in die Hand und betrachtete ihn wohlgefällig. Dann gab er seinem Juwelier den Befehl, den Diamanten in Gold zu fassen, damit er ihn als Glücksbringer an seinem Turban tragen konnte.
Die Gefangenen durften Suzibo verlassen. Man hat nie wieder etwas von ihnen gehört. Yasha blieb der Gefangene des Sultans, denn ohne den Talisman wollte er nicht fliehen. Den Talisman aber verwahrte der Sultan in einer schweren Holztruhe. Die sieben Schlüssel zu den sieben Schlössern trug er immer bei sich. Tag und Nacht bewachten zwei bis an die Zähne bewaffnete Männer die Truhe.
Sicher wäre Yasha an Langeweile zugrunde gegangen, wenn er nicht einen neuen Freund gewonnen hätte, den Sohn des Sultans. Die beiden erzählten sich viele Geschichten. Yasha brachte dem Prinzen Lesen und Schreiben bei. Im Gegenzug zeigte ihm der Prinz, wie man Regen heraufbeschwört, wie man mit einem Glassplitter und den Strahlen der Sonne Feuer entfachen kann und wie man mit Kamelen umgeht.
Eines Tages
kam der Sohn
des Sultans aufgeregt zu Yasha gerannt. Der kleine Prinz freute sich darauf, seinem Freund eine wunderbare Neuigkeit zu erzählen. Er hatte, wie so oft, in der Nähe der Wachen gespielt und unauffällig ihre Unterhaltung belauscht. Dabei hörte er, dass ein fremder Junge, der mit einer Karawane an Sulai vorbeigezogen war, immer wieder die Worte »Dvorach – Schiff – Granada« in den Sand geschrieben haben soll. Auf diese Weise erfuhr Yasha, dass seinen Eltern die Flucht aus Suzibo gelungen war und dass sie sich in Granada, in Spanien, aufhielten. Von nun an hatte er nur einen Gedanken im Kopf. Er musste den Talisman wiederbekommen und so schnell wie möglich nach Granada aufbrechen, um seine Eltern zu suchen.
Unendlich viele Stunden entwickelte Yasha Pläne und verwarf sie wieder, der Talisman war einfach zu gut bewacht. Aber er gab nicht auf und grübelte weiter. Als die
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