Der Talisman (German Edition)
beiden Freunde wieder einmal heimlich mit Glassplittern kokelten, kam Yasha ein genialer Gedanke.
Noch am selben Abend bat der Junge um eine Audienz beim Sultan. Als Geschenk brachte er ihm viele Glassteine mit. Yasha hatte sie mit viel Geduld so lange poliert, bis sie wie Diamanten funkelten. Der Sultan strahlte, als er die Steine sah.
»Jetzt«, sprach Yasha, »ist endlich die Zeit gekommen, großer Sultan, euch in das Geheimnis des Talismans einzuweihen. Nach diesen kostbaren Diamanten habe ich lange gesucht! Angeleuchtet von ihrem magischen Glanz wird der Talisman morgen all eure Wünsche erfüllen!« Geheimnisvoll beschrieb Yasha dem Sultan die Zeremonie.
An der Ostseite des Zeltes, dort, wo die Sonne aufging, ließ Yasha die Leibgardisten 30 Pfähle aufstellen. Oben auf die Pfähle legte er die Glassteine. »Wenn die Sonne auf halber Höhe steht, wollen wir uns hier treffen!«, sagte er.
Als Yasha am nächsten Morgen im Zelt des Sultans eintraf, wurden die Leibgardisten nach draußen geschickt. Sie hatten den Auftrag, das Zelt zu umstellen und aufzupassen, dass niemand lauschte. Denn die Geheimnisse des Talismans sollte nur der Sultan erfahren. Als alle, bis auf Yasha, das Zelt verlassen hatten, klimperte der Sultan mit den sieben Schlüsseln, ging zur schweren Truhe mit den sieben Schlössern, riegelte sie auf, holte den Talisman heraus und legte ihn andächtig vor sich auf einen niedrigen Tisch. Nun hieß es warten …
Als die Sonne auf halber Höhe stand, entdeckte Yasha erleichtert die ersten feinen Brandlöcher in der Ostseite des Zeltes. Bald züngelten kleine Flammen hoch und es begann ordentlich zu rauchen. Der Sultan lag gemütlich in den weichen Kissen auf seiner schönen neuen Sänfte und schaute sich das Schauspiel entzückt an. Er glaubte, das sei bereits ein Teil des Geheimnisses. »Gold! Gold! Gold!«, murmelte Yasha beschwörend und hüpfte herum. Als er halb vom Rauch der Flammen verhüllt war, griff Yasha blitzschnell nach dem Talisman. Den großen Diamanten am Turban des Sultans riss er auch noch herunter – für seine Reise nach Granada konnte der wertvolle Stein von Nutzen sein. »Talisman, schnell! Ich wünsche, ich wünsche, ich wünsche nach Granada zu fliegen!« Und schon flogen Yasha und sein Talisman aus dem Zelt heraus, das inzwischen lichterloh brannte. »Wachen! Rettet euren Sultan, sonst sieht er gleich aus wie ein gegrilltes Ferkel!«, rief der Junge den verdutzten Leibgardisten noch schnell zu.
Der Talisman
leuchtete vor
Vergnügen über diesen herrlichen Streich. Denn obwohl er als steinernes Wesen über einen schier endlosen Vorrat an Geduld verfügte, war ihm in der dunklen Truhe, ohne seinen Yasha, sehr langweilig gewesen.
Großzügig zauberte der Talisman eine große, gemütliche, weiße Wolke für seinen Freund. In die kuschelte sich Yasha behaglich ein und ließ sich mit dem Wind nach Spanien tragen.
Die ihm vertraut gewordene liebe Wolke trug Yasha sanft schaukelnd aus dem Schreckensreich des Sultans von Suzibo fort, weiter und weiter in Richtung Granada. Sie schwebten über Landschaften, Städte und Dörfer hinweg, die von oben so klein wie Spielzeug aussahen.
Yasha lag
gemütlich auf der Wolke
und betrachtete den Himmel über sich durch den großen Diamanten des Sultans. Dabei dachte er an seinen Freund, den kleinen Prinzen: »Schade, dass er nicht hier ist. Zu zweit wäre diese Reise sicher viel lustiger.«
Auf einmal wurde es eiskalt, denn die Wolke stieg immer höher in den Himmel hinauf. Plötzlich stieß Yashas Schulter an etwas ganz Hartes, der Diamant rutschte ihm aus der Hand. »Aua!«, schrie der Junge auf und wischte die Wolkenschleier unter sich zur Seite. Dabei sah er, dass sich die Wolke an einem hohen Berg verheddert hatte. Weil es hier oben so bitter kalt war, gefror sie und verwandelte sich in tausende dicke weiße Schneeflocken. Schnell hüpfte Yasha von der Wolke herunter. Während er sich die schmerzende Schulter rieb, beobachtete er erstaunt, wie seine liebe Wolke immer kleiner wurde. Nur ein winziger Zipfel der Wolke blieb übrig, der es endlich schaffte, sich vom Berg loszureißen.
»Halt!«, schrie Yasha dem Wolkenstückchen hinterher. »Halt, du hast noch den großen Diamanten des Sultans! Bitte lass ihn hier!« Aber Wolken hören nicht, sie haben ja keine Ohren.
Vergeblich versuchte Yasha das Wölkchen einzufangen, doch die kleine Wolke mit dem großen Diamanten wehte einfach davon. Yasha tröstete sich über den Verlust
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