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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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Medizin. Trink es, Jack, gleich hier und jetzt.«
    »Ich mag nicht«, sagte Jack. Der Geruch, der aus der Dose aufstieg, war morastig und ranzig.
    »Jack«, sagte Wolf, »du hast außerdem einen Krankgeruch.«
    Jack sah ihn an, ohne etwas zu sagen.
    »Ja«, sagte Wolf. »Und er wird stärker. Er ist nicht wirklich schlimm, noch nicht, aber – Wolf! – er wird schlimm werden, wenn du keine Medizin dagegen nimmst.«
    »Wolf, ich bin sicher, dass du in der Region ganz groß darin bist, Kräuter und Wurzeln zu finden, aber hier bist du im Land der schlimmen Gerüche, weißt du das nicht mehr? Womöglich hast du Greiskraut mit darin und Giftsumach und Bitterwicke und …«
    »Die Sachen sind gut«, sagte Wolf. »Nur nicht sehr stark, Gott hämmre sie.« Wolf blickte wehmütig drein. »Nicht alles riecht schlecht hier, Jack. Es gibt auch gute Gerüche. Aber die guten Gerüche sind wie die Medizinpflanzen. Schwach. Ich glaube, sie waren früher stärker.«
    Wolf blickte träumerisch zum Mond empor, und in Jack regte sich wieder das Unbehagen.
    »Ich glaube, früher war dies einmal ein gutes Land«, sagte Wolf. »Sauber und voll Kraft …«
    »Wolf?« sagte Jack leise. »Wolf, das Haar auf deinen Händen ist wieder da.«
    Wolf fuhr zusammen und sah Jack an. Einen Augenblick – vielleicht war es nur eine Fieberphantasie, und selbst wenn nicht, dauerte es nur einen Augenblick – betrachtete Wolf Jack mit unverhülltem, gierigem Appetit. Dann schien er sich zu schütteln, als wollte er einen bösen Traum loswerden.
    »Ja«, sagte er. »Aber ich möchte nicht darüber reden, und ich möchte auch nicht, dass du es tust. Es spielt keine Rolle, noch nicht. Wolf Trink deine Medizin, Jack, alles andere braucht dich nicht zu kümmern.«
    Es sah aus, als ließe Wolf nicht mit sich reden; wenn Jack die Medizin nicht trank, sah sich Wolf womöglich gezwungen, seinen Mund aufzusperren und sie ihm in die Kehle zu gießen.
    »Wenn sie mich umbringt, bist du allein, ist dir das klar?« sagte Jack ingrimmig und nahm die Dose. Sie war noch warm.
    Ein Ausdruck entsetzlicher Qual breitete sich auf Wolfs Gesicht aus. Er schob die Brille mit den runden Gläsern auf der Nase hoch. »Ich will dir nichts zuleide tun, Jack – Wolf will Jack nie etwas zuleide tun.« Der Ausdruck war so eindringlich und so jammervoll, dass er lächerlich gewirkt hätte, wäre er nicht so offensichtlich ehrlich gewesen.
    Jack gab nach und trank den Inhalt der Dose. Diesem Ausdruck verletzter Bestürzung hatte er nichts entgegenzusetzen. Der Geschmack war so grauenhaft, wie er ihn sich vorgestellt hatte … und die Welt – schien sie nicht einen Augenblick zu verschwimmen? Verschwamm sie sie nicht auf die gleiche Art wie in dem Moment, in dem er in die Region zurückflippte?
    »Wolf!« schrie er. »Wolf! Halt mich fest!«
    Wolf ergriff seine Hand, besorgt und aufgeregt zugleich. »Jack? Jacky? Was ist?«
    Der Geschmack der Medizin begann seinen Mund zu verlassen. Gleichzeitig breitete sich ein warmes Glühen – die Art Glühen, die er die wenigen Male verspürt hatte, wenn seine Mutter ihm erlaubt hatte, ein Gläschen Brandy zu trinken – in seinem Magen aus. Und die Welt um ihn herum festigte sich wieder. Vielleicht war das kurze Verschwimmen auch nur Einbildung gewesen – aber Jack glaubte es nicht.
    Ich wäre beinahe geflippt. Einen Augenblick war ich ganz nahe daran. Vielleicht kann ich es ohne den Zaubersaft – vielleicht kann ich es!
    »Jack? Was ist?«
    »Mir ist besser«, sagte er und brachte ein Lächeln zustande. »Ich fühle mich besser, das ist alles.« Er entdeckte, dass er sich tatsächlich besser fühlte.
    »Du riechst auch besser«, sagte Wolf fröhlich. »Wolf! Wolf!«
     
    2
     
    Sein Zustand besserte sich am nächsten Tag weiter, aber er war schwach. Wolf trug ihn auf dem Rücken, und sie gelangten ein Stück weiter westwärts. Als es dämmerte, suchten sie nach einem Ort, an dem sie die Nacht verbringen konnten. Jack entdeckte einen Holzschuppen in einer schmutzigen kleinen Mulde. Er war umgeben von Müll und alten Autoreifen. Wolf stimmte zu, ohne viel zu sagen. Er war den ganzen Tag still und verdrossen gewesen.
    Jack schlief fast sofort ein; gegen elf wachte er auf, weil er urinieren musste. Er blickte neben sich und sah, dass Wolfs Platz leer war. Vielleicht war Wolf losgezogen, um mehr Kräuter zu suchen, aus denen er ihm noch einen Trank zubereiten konnte. Jack zog die Nase kraus, aber wenn Wolf wollte, dass er noch mehr von dem Zeug

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