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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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ZU VERKAUFEN stand, nach Gras, das bis zur zweiten Verandastufe reichte, und nach der Aura der Leblosigkeit, die leerstehende Häuser umgibt. Nicht, dass er hoffte, Wolf während der drei Tage seiner Verwandlung im Schlafzimmer irgendeines Farmers einschließen zu können. Wolf würde einfach die Tür einschlagen. Aber ein Farmhaus hatte einen Rübenkeller gehabt; das wäre gegangen.
    Eine massive Eichentür in einer grasbewachsenen Kuppe wie eine Tür im Märchen, und dahinter ein Raum ohne Wände und ohne Decke – ein unterirdischer Raum, eine Höhle, aus der sich kein Geschöpf in weniger als einem Monat herauswühlen konnte. Der Keller hätte Wolf standgehalten, und der Fußboden und die Wände aus Erde hätten dafür gesorgt, dass er sich nicht verletzen konnte.
    Aber das leere Farmhaus und der Rübenkeller lagen mindestens fünfzig oder sechzig Kilometer hinter ihnen. Es war unmöglich, in der bis zum Mondaufgang noch bleibenden Zeit dahin zurückzukehren. Und würde Wolf überhaupt willens sein, sechzig Kilometer weit zu laufen, nur um sich ohne Nahrung in eine Zelle sperren zu lassen, so kurz vor dem Eintritt seiner Verwandlung?
    Und außerdem konnte es sein, dass die Zeit schon zu weit fortgeschritten war. Es konnte sein, dass Wolf der Grenze schon so nahe war, dass er gar nicht daran dachte, sich irgendwo einsperren zu lassen. Was war, wenn diese frohlockende, gierige Unterseite seines Charakters aus der Grube herausgestiegen war und sich in dieser merkwürdigen neuen Welt umzusehen begann, herauszufinden versuchte, wo sich die Beute versteckte? Dann wäre das große Schloss, das die Nähte von Jacks Hosentasche zu zerreißen drohte, völlig nutzlos.
    Jack kam der Gedanke, dass er kehrtmachen konnte. Er konnte nach Daleville zurückkehren und dann Weiterreisen. In ein oder zwei Tagen würde er in der Nähe von Lapel oder Cicero sein, und dann konnte er vielleicht einen Nachmittag in einem Imbiss oder ein paar Stunden auf einer Farm arbeiten, ein paar Dollar verdienen und ein oder zwei Mahlzeiten herausschlagen, und dann in den folgenden Tagen zusehen, dass er nach Illinois kam. Illinois würde einfach sein – Jack wusste nicht genau, wieso, aber er war ziemlich sicher, dass er nur einen oder zwei Tage, nachdem er die Grenze von Illinois überschritten hatte, Springfield und die Thayer School erreichen würde.
    Außerdem, überlegte Jack, als er ein paar hundert Meter von ihrem Schuppen entfernt auf der Straße verschnaufte, wie sollte er Richard Sloat erklären, was es mit Wolf auf sich hatte? Seinem alten Kumpel Richard mit seinen runden Brillengläsern, seiner Krawatte und seinen Wildlederschuhen? Richard Sloat war durch und durch Verstandesmensch; er war äußerst intelligent, aber auch dickköpfig. Was er nicht sah, das gab es für ihn nicht. Als Kind hatte sich Richard nie für Märchen interessiert. Disney-Filme über Feen, die Kürbisse in Kutschen verwandelten, hatten ihn ebenso kalt gelassen wie böse Königinnen, die sprechende Spiegel besaßen. Solche Spinnereien waren viel zu absurd, um den sechsjährigen (oder achtjährigen oder zehnjährigen) Richard in ihren Bann zu schlagen – ganz im Gegensatz etwa zum Photo eines Elektronenmikroskops. Richard hatte sich begeistert auf Rubiks Würfel gestürzt, mit dem er in weniger als neunzig Sekunden fertig wurde, aber Jack bezweifelte, dass er bereit war, einen einsfünfundneunzig großen, sechzehn Jahre alten Werwolf zu akzeptieren.
    Einen Augenblick drehte sich Jack unschlüssig auf der Straße – einen Augenblick glaubte er fast, er würde imstande sein, Wolf zurückzulassen und seine Reise fortzusetzen, zuerst zu Richard und dann zum Talisman.
    Was ist, wenn ich die Herde bin? fragte er sich selbst wortlos. Und er erinnerte sich, wie Wolf hinter seinen armen, in Panik geratenen Tieren her die Böschung hinuntergestürmt war und sich ins Wasser geworfen hatte, um sie zu retten.
     
    7
     
    Der Schuppen war leer. Sobald Jack die offen stehende Tür sah, wusste er, dass Wolf irgendwohin verschwunden war, aber er eilte den Abhang der Mulde hinab und bahnte sich fast ungläubig seinen Weg durch den Müll. Wolf war nicht imstande, auch nur zehn Meter allein zu gehen; dennoch hatte er es getan. »Ich bin wieder da«, rief Jack. »He, Wolf? Ich habe das Schloss.« Er wusste, dass er mit sich selbst redete, und ein Blick in den Schuppen bestätigte es. Sein Rucksack lag auf einer kleinen Holzbank und daneben ein Stapel Klatschzeitschriften aus dem Jahre

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