Der Talisman
habe keine Angst vor ihm«, sagte Heck. »Sonny sagt, sie hätten in der Box den größten Teil seiner Gemeinheit aus ihm herausgeholt.
Sonny sagt, er würde alles tun, nur um nicht wieder hineinzumüssen. Und was dich betrifft …«
Hecks linke Faust schoss vor. Er war mit der Linken nicht so geschickt wie mit der Rechten, aber Jack, aus der Fassung gebracht durch die bleiche Wut des großen Jungen, sah sie nicht kommen. Seine Lippen verzerrten sich unter Hecks Schlag zu einem makabren Lächeln und platzten auf. Er taumelte gegen die Wand.
Eine Tür wurde geöffnet und Billy Adams schaute heraus.
»Mach die Tür zu, sonst bist du der nächste!«, brüllte Heck, und Adams, keineswegs erpicht darauf, von Heck zusammengeschlagen zu werden, kam dem Befehl sehr schnell nach.
Heck bewegte sich auf Jack zu. Jack stieß sich benommen von der Wand ab und hob die Fäuste. Heck blieb stehen.
»Das könnte dir so passen, nicht wahr?« sagte Heck. »Jemanden angreifen, der nur eine gute Hand hat.« Röte überflutete sein Gesicht.
Schritte klapperten, näherten sich der Treppe zum Schlaftrakt. »Das ist Sonny. Verschwinde. Scher dich hier raus. Aber wir kriegen dich, mein Freund. Dich und den Dämel auch. Reverend Gardener hat gesagt, wir dürfen, es sei denn, du erzählst ihm, was er wissen will.«
Heck grinste.
»Tu mir einen Gefallen, Rotzgesicht. Erzähl es ihm nicht.«
2
Es stimmte, etwas hatten sie in der Box tatsächlich aus Wolf herausgeholt, dachte Jack. Sechs Stunden waren vergangen seit seiner Begegnung mit Heck Bast auf dem Korridor. Bald würde die Klingel zur Beichte ertönen, aber fürs erste schlief Wolf erschöpft in der Koje unter ihm. Draußen schlug der Regen gegen die Mauern des Sunlight-Heims.
Es war nicht Gemeinheit, und Jack wusste, dass es nicht nur die Box war, die es herausgeholt hatte. Nicht einmal das Sunlight-Heim. Es war diese ganze Welt. Wolf sehnte sich einfach nach Zuhause. Er hatte den größten Teil seiner Vitalität verloren. Er lächelte selten und lachte überhaupt nicht mehr. Als Warwick ihn beim Mittagessen anbrüllte, weil er mit den Fingern aß, fuhr er zusammen und duckte sich.
Es muss bald geschehen, Jacky. Weil ich sterbe. Wolf stirbt.
Heck Bast behauptete, er hätte keine Angst vor Wolf, und tatsächlich schien nichts übrig geblieben zu sein, wovor man Angst haben musste; es schien, als wäre das Zerquetschen von Hecks Hand der letzte Kraftakt gewesen, dessen Wolf fähig war.
Die Klingel läutete zur Beichte.
An diesem Abend, nach der Beichte, dem Essen und der Andacht, kehrten Jack und Wolf in ihre Kammer zurück und fanden ihre Betten tropfnass und nach Urin stinkend vor. Jack ging zur Tür, riss sie auf und sah Sonny, Warwick und einen anderen großen Bengel namens Van Zandt grinsend auf dem Flur stehen.
»Haben uns wohl im Zimmer geirrt, Rotzgesicht«, sagte Sonny. »Dachten, es wäre die Toilette – wegen der Klumpen Scheiße, die wir immer darin herumschwirren sehen.«
Van Zandt hielt sich den Bauch vor Lachen über diese geistvolle Bemerkung.
Jack starrte sie einen langen Augenblick an, und Van Zandt hörte auf zu lachen.
»Wen starrst du an, Rotzgesicht? Soll ich dir deine verdammte Nase einschlagen?«
Jack schloss die Tür, sah sich um und stellte fest, dass Wolf unausgezogen auf seinem nassen Bett schlief. Wolfs Bart begann wieder zu sprießen; dennoch war sein Gesicht blass, die Haut gedehnt und glänzend. Es war das Gesicht eines Kranken.
Lass ihn in Ruhe, dachte Jack. Soll er doch darin schlafen, wenn er so müde ist.
Nein. Du lässt ihn nicht in diesem vollgesauten Bett schlafen. Das tust du nicht!
Erschöpft trat Jack zu Wolf, rüttelte ihn, bis er halb wach war, holte ihn von der nassen, stinkenden Matratze herunter und zog ihn aus. Sie schliefen dicht aneinandergedrängt auf dem Fußboden.
Um vier Uhr morgens wurde die Tür geöffnet, und Sonny und Heck kamen herein. Sie rissen Jack hoch und schleppten ihn hinunter in Sunlight Gardeners Büro im Keller.
Gardener hatte die Füße auf eine Ecke seines Schreibtisches gelegt. Trotz der ungewöhnlichen Zeit war er voll angekleidet. Hinter ihm hing ein Bild von Jesus, wie er auf dem See Genezareth wandelte, während seine Jünger fassungslos zusahen. Zu seiner Rechten befand sich ein Glasfenster, durch das man in das verdunkelte Studio sehen konnte, in dem Casey seine idiotischen technischen Wunder vollbrachte. An einer von Gardeners Gürtelschlaufen hing eine schwere Schlüsselkette.
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