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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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zurück in sein Zimmer«, sagte er.
     
    3
     
    Nur eine weitere Woche im Sunlight-Heim, könnt ihr Amen sagen, Brüder und Schwestern. Nur eine weitere lange, lange Woche.
    Jack blieb in der Küche, nachdem die anderen ihr Frühstücksgeschirr abgeliefert hatten und gegangen waren. Er wusste recht gut, dass er weitere Schläge, weitere Quälereien riskierte – aber diesmal schien das von untergeordneter Bedeutung zu sein. Nur drei Stunden zuvor war Gardener ganz nahe daran gewesen, ihm die Lippen abzubrennen. Er hatte es in den verrückten Augen des Mannes gesehen, hatte es in dem verrückten Herzen des Mannes gespürt. Nach so etwas schien das Risiko, geschlagen zu werden, in der Tat von untergeordneter Bedeutung.
    Rudolphs weißer Kochanzug war so grau wie der tiefhängende Novemberhimmel draußen. Als Jack seinen Namen flüsterte, bedachte Rudolph ihn mit einem blutunterlaufenen, zynischen Blick. Sein Atem roch nach billigem Whiskey.
    »Verschwinde lieber von hier, frischer Fisch. Sie sind hinter dir her.«
    Erzähl mir etwas, das ich nicht weiß.
    Jack blickte nervös zu dem altertümlichen Geschirrspüler hinüber, der rumpelte und zischte und die Jungen, die ihn voll packten, mit seinem dampfenden Drachenatem anfauchte. Sie schienen nicht in Jacks und Rudolphs Richtung zu blicken, aber Jack wusste, dass der Schein trog. Geschichten würden die Runde machen. Oh ja. Im Sunlight-Heim nahmen sie einem das Geld weg, und herumgetragene Geschichten wurden zu einer Art Ersatzwährung.
    »Ich muss hier raus«, sagte Jack. »Ich und mein großer Freund. Wie viel würden Sie dafür nehmen, dass Sie in die andere Richtung sehen, während wir zur Hintertür hinausgehen?«
    »Mehr als du bezahlen kannst, selbst wenn es dir gelänge, das in die Hände zu bekommen, was sie dir abgenommen haben, als sie dich hier einlochten«, sagte Rudolph. Seine Worte waren hart, aber in seinem Blick lag eine Art verschwommenen Mitgefühls.
    Ja, natürlich – es war alles weg. Das Plektron, der Silberdollar, die Murmel des Teppichhändlers, seine sechs Dollar – alles war weg. In einem zugeklebten Umschlag und irgendwo aufbewahrt, vermutlich in Gardeners Büro im Keller. Aber …
    »Ich würde Ihnen einen Schuldschein geben.«
    Rudolph grinste. »Ein Schuldschein von jemandem aus diesem Bau voller Diebe und Junkies, das ist wirklich ein Witz«, sagte er. »Steck dir deinen Scheißschuldschein sonst wohin.«
    Jack richtete die gesamte neue Kraft, die in ihm steckte, auf Rudolph. Er war imstande, diese Kraft, diese neue Schönheit zu verbergen – bis zu einem gewissen Grade jedenfalls –, aber jetzt ließ er sie heraus und sah, wie Rudolph vor ihr zurückwich und sein Gesicht einen Moment lang verwirrt und verblüfft war.
    »Mein Schuldschein würde gut sein, und ich glaube, Sie wissen das«, sagte Jack ruhig. »Geben Sie mir eine Adresse, und ich schicke Ihnen das Geld. Wie viel? Ferd Janklow hat mir erzählt, dass Sie für zwei Dollar einen Brief befördern. Genügen zehn Dollar, damit Sie lange genug woanders hinsehen, während wir einen Spaziergang unternehmen?«
    »Nicht zehn, nicht zwanzig, nicht hundert«, sagte Rudolph leise. Jetzt blickte er den Jungen mit einer Traurigkeit an, die Jack ängstigte. Es war dieser Blick, der ihm – deutlicher als alles andere – verriet, wie tief Wolf und er in der Falle steckten. »Ja, ich habe es schon früher getan. Manchmal für fünf Dollar. Manchmal, ob du es glaubst oder nicht, sogar umsonst. Für Ferdie Janklow hätte ich es umsonst getan. Er war ein guter Junge. Diese Scheißkerle …«
    Rudolph hob eine von Wasser und Spülmitteln gerötete Faust und schüttelte sie gegen die grüngekachelte Wand. Er sah, wie Morton, den sie des Schwanzfummelns bezichtigt hatten, ihn ansah, und Rudolph starrte böse zurück. Morton wendete den Blick schleunigst ab.
    »Warum also nicht?« fragte Jack verzweifelt.
    »Weil ich Angst habe, Junge«, sagte Rudolph.
    »Wie meinen Sie das? An dem Abend, als ich herkam, als Sonny anfing, Ärger zu machen …«
    »Singer!« Rudolph machte eine verächtliche Handbewegung. »Ich habe keine Angst vor Singer, und ich habe keine Angst vor Bast, obwohl er so ein großer Kerl ist. Er ist es, vor dem ich Angst habe.«
    »Gardener?«
    »Er ist ein Teufel aus der Hölle«, sagte Rudolph. Er zögerte, dann sagte er: »Ich will dir etwas erzählen, was ich bisher noch niemandem erzählt habe. Einmal hatte er vergessen, mir meinen Lohn zu geben, und ich ging hinunter in sein

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