Der Talisman
45,78,150,400 Umdrehungen. Die Worte der Sängerin verwandelten sich in das wilde Geschnatter wahnsinniger Backenhörnchen auf einer Raketen-Abschußrampe. Einen Augenblick später flog die Frontscheibe der Musikbox auseinander; bunte Scherben fetzten durch den Raum.
Smokey warf einen Blick auf seinen Taschenrechner und sah, wie ein einziges Wort in der Leuchtanzeige aufblinkte:
TALISMAN-TALISMAN-TALISMAN-TALISMAN
Dann explodierten seine Augen.
»Lori, stell das Gas ab!« schrie einer der Gäste. Er glitt von seinem Hocker und drehte sich zu Smokey um. »Smokey, sag ihr …« Der Mann stieß einen Schreckensschrei aus, als er das Blut aus den Löchern spritzen sah, in denen Smokey Updikes Augen gewesen waren.
Einen Augenblick später flog das ganze Oatley Tap in die Luft, und bevor die Feuerwehr aus Dogtown und Elmira eintraf, stand fast die ganze Stadt in Flammen.
Kein großer Verlust, Kinder. Könnt ihr Amen sagen?
5
In der Thayer School, in der alles so normal verlief wie immer (ein kurzes Zwischenspiel ausgenommen, das Schülern und Lehrern nur als eine Reihe verschwommener, irgendwie zusammenhängender Träume im Gedächtnis geblieben war), hatten gerade die letzten Unterrichtsstunden des Tages begonnen. Was in Indiana leichter Schneefall war, war hier in Illinois ein kalter Sprühregen. Die Schüler saßen verträumt in ihren Klassenzimmern.
Plötzlich begannen die Glocken in der Kapelle zu läuten. Köpfe fuhren hoch. Augen weiteten sich. Auf dem ganzen Campus von Thayer schienen halbvergessene Träume plötzlich wieder lebendig zu werden.
6
Etheridge hatte in einer Mathe-Stunde gesessen und mit der Hand rhythmisch einen gewaltigen Ständer massiert, blicklos auf die Logarithmen starrend, mit denen der alte Mr. Hunkins die Tafel bedeckte. Seine Gedanken waren bei der kessen kleinen Kellnerin, mit der er verabredet war. Sie trug Strumpfbänder anstelle von Strumpfhosen und war mehr als willens, beim Ficken die Strümpfe anzulassen. Jetzt ließ Etheridge den Blick über die Fenster wandern, vergaß seine Erektion, vergaß die Kellnerin mit ihren langen Beinen und den glatten Nylons; plötzlich und ohne jeden Anlass fiel ihm Sloat ein. Der pedantische kleine Richard Sloat, der dazu aufforderte, dass man ihn als Flasche einstufte, obwohl er irgendwie keine war. Er dachte an Sloat und fragte sich, wie es ihm wohl ginge. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass es mit Sloat, der vor vier Tagen unentschuldigt die Schule verlassen und seither kein Lebenszeichen von sich gegeben hatte, nicht zum Besten stand.
Mr. Dufrey, der Direktor, saß gerade in seinem Büro und diskutierte mit einem wütenden – und reichen – Vater über die Relegation eines Jungen namens George Hatfield wegen Betrugs, als das unplanmäßige Glockengeläut begann. Als es endete, kauerte Mr. Dufrey auf Händen und Knien auf dem Boden, das graue Haar war ihm in die Stirn gefallen, die Zunge hing ihm aus dem Mund. Hatfield der Ältere stand an der Tür, presste sich regelrecht dagegen, Mund und Augen weit aufgerissen; seine Wut hatte sich in Verblüffung und Angst verwandelt. Mr. Dufrey kroch auf seinem Teppich herum und bellte wie ein Hund.
Albert der Klops hatte sich gerade etwas zum Knabbern geholt, als die Glocken zu läuten begannen. Er blickte zum Fenster hinüber und runzelte die Stirn wie jemand, der sich an etwas zu erinnern versucht, das ihm auf der Zunge liegt. Dann zuckte er die Achseln und kehrte zu den Kartoffelchips zurück, von denen seine Mutter ihm gerade einen ganzen Karton geschickt hatte. Ihm war – nur einen Augenblick, aber der Augenblick war lang genug –, als wimmelte es in der Tüte von dicken weißen Würmern.
Er fiel ihn Ohnmacht.
Als er wieder zu sich gekommen war und genügend Mut gesammelt hatte, um wieder einen Blick in die Tüte zu werfen, sah er, dass es nur Einbildung gewesen war. Natürlich! Was hätte es sonst sein sollen! Dennoch war es eine Einbildung, die von diesem Tag an eine starke Macht auf ihn ausübte; wann immer er eine Tüte öffnete, die Chips, Schokoladenriegel, Erdnüsse oder sonst welchen Knabberkram enthielt, sah er die Würmer vor seinem inneren Auge. Im Frühjahr hatte Albert der Klops fünfunddreißig Pfund abgenommen, spielte in der Tennis-Mannschaft von Thayer und hatte ein Mädchen. Er war halb von Sinnen vor Glück. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, dass er die Liebe seiner Mutter überleben würde.
7
Als die Glocken zu
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