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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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bloßlag. Keine Frage, über wen sie redeten. Und wenn sie redeten, mochte jemand zuhören … der Falsche. Jemand, der sich fragte, wer dieser plötzlich zur Sprache gekommene Bastard sein mochte. Das begriff selbst ein Kind wie er.
    »Du hast genug gehört«, sagte der Hauptmann. »Wir müssen weiter.« Er sah aus, als würde er Jack am liebsten nochmals schütteln, wagte es aber nicht so recht.
    Und deine Anweisungen, deine Befehle oder was auch immer, wie lauten die – du sollst nach Westen gehen, stimmt das?
    Er hat sich verändert, dachte Jack. Er hat sich zweimal verändert.
    Das erste Mal, als Jack ihm den Haifischzahn zeigte, der in der Welt, in der auf den Straßen Lieferwagen anstelle von Pferdekarren fuhren, ein filigrangeschmücktes Gitarren-Plektron gewesen war. Und dann hatte er sich wieder verändert, als Jack ihm bestätigt hatte, dass er nach Westen ging. Erst war er bedrohlich gewesen, dann hilfsbereit und jetzt – was?
    Das kann ich dir nicht sagen, ich kann es nicht …
    Etwas wie religiöse Ehrfurcht – oder religiöses Entsetzen.
    Er will mich hier herausbringen, weil er Angst hat, dass wir erwischt werden können, dachte Jack. Aber es steckt noch mehr dahinter. Oder nicht? Er hat Angst vor mir. Angst vor …
    »Komm«, sagte der Hauptmann. »Komm endlich, um Jasons willen.«
    »Um wessen willen?« fragte Jack verblüfft, aber der Hauptmann beförderte ihn bereits hinaus. Er zog Jack scharf nach links und dann, indem er ihn halb führte und halb zerrte, einen Gang entlang, dessen eine Seite aus Holz bestand, die andere aus steifem, modrig riechendem Segeltuch.
    »Hier sind wir aber nicht hergekommen«, flüsterte Jack.
    »Ich will nicht wieder an den Leuten vorbei, die wir beim Hereinkommen sahen«, flüsterte der Hauptmann zurück. »Morgans Leuten. Hast du den Großen gesehen? So mager, dass man fast durch ihn hindurchsehen kann?«
    »Ja.« Jack erinnerte sich an das dünne Lächeln und an die Augen, die nicht lächelten. Die anderen hatten weich ausgesehen. Der dünne Mann hatte hart ausgesehen. Er hatte verrückt ausgesehen. Und noch etwas: er war ihm irgendwie bekannt vorgekommen.
    »Osmond«, sagte der Hauptmann und zog Jack jetzt nach rechts.
    Der Duft bratenden Fleisches war allmählich immer stärker geworden, und jetzt erfüllte er die Luft. Jack hatte noch nie in seinem ganzen Leben Fleisch gerochen, nach dem ihn so sehr verlangte. Er hatte Angst, balancierte vielleicht am Rande des Wahnsinns – aber das Wasser lief ihm im Munde zusammen.
    »Osmond ist Morgans rechte Hand«, knurrte der Hauptmann. »Er sieht zuviel, und mir wäre es lieber, wenn er dich nicht zweimal sieht.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Pst!« Er umklammerte Jacks Arm noch fester. Sie näherten sich einem breiten Tuch, das vor einem Eingang hing. Jack erinnerte es an einen Duschvorhang – nur bestand der Stoff aus Sackleinen, so grob und locker gewebt, dass er fast netzartig war, und die Ringe, an denen er hing, waren nicht aus Chrom, sondern aus Knochen.
    »Jetzt weine«, hauchte der Hauptmann warm in Jacks Ohr.
    Er schob den Vorhang beiseite und zog Jack in eine riesige Küche, angefüllt mit köstlichen Düften (unter denen das Fleisch noch immer vorherrschte) und Schwaden heißen Dampfes. Jack erhaschte einen flüchtigen Blick auf Fleischroste, auf einen großen, aus Steinen aufgemauerten Kamin, auf die Gesichter von Frauen unter wogenden weißen Kopftüchern, die ihn an die Hauben von Nonnen erinnerten. Einige von ihnen standen an einem langen, auf Böcken ruhenden Eisentrog und spülten mit roten, verschwitzten Gesichtern Töpfe und Küchenutensilien. Andere standen an einem Tresen, der sich quer durch den Raum zog, und schnitten, würfelten, entkernten und schälten. Eine weitere trug ein Drahtgestell mit rohen Pasteten. Sie alle starrten den Hauptmann und Jack an, als sie in die Küche eindrangen.
    »Nicht noch einmal!« fauchte der Hauptmann Jack an und schüttelte ihn, wie ein Terrier eine Ratte schüttelt – während er gleichzeitig so schnell wie möglich den Raum durchquerte und auf den Ausgang am entgegengesetzten Ende zuhielt. »Nicht noch einmal, hast du gehört? Wenn du dich noch einmal von der Arbeit drückst, ziehe ich dir bei lebendigem Leibe das Fell über die Ohren!«
    Und kaum hörbar zischte er: »Sie werden sich alle erinnern und schwatzen, also heule, verdammt noch mal!«
    Und während ihn der Hauptmann mit dem vernarbten Gesicht am Genick durch die dampfende Küche schleppte, rief

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