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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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feisten Wangen bebten. Die Küchenfrauen keuchten und tuschelten, als sich der Hauptmann über das gefürchtete Chefmonster der dampfenden Höhle beugte, in der sie ihre Tage und Nächte verbrachten. Immer noch weinend, erhaschte Jack einen Blick auf einen schwarzen Jungen (einen braunen Jungen, korrigierten seine Gedanken), der am Ende des größten Fleischrostes stand. Der Mund des Jungen stand offen, auf seinem Gesicht lag ein überraschter Ausdruck, so komisch übertrieben wie in einer Minstrel-Show, aber er hörte nicht auf, die Kurbel zu drehen, und die über den glühenden Kohlen hängende Lende rotierte weiter.
    »Und nun hör zu, weil ich dir einen Rat geben will, den du nicht im Buch vom guten Wirtschaften findest«, sagte der Hauptmann. Er beugte sich über den Küchenchef, bis sich ihre Nasen beinahe berührten (ohne dabei seinen lähmenden Griff um Jacks Arm – der jetzt gnädigerweise taub zu werden begann – auch nur im Geringsten zu lockern). »Geh niemals – niemals, sage ich – auf einen Mann los mit einem Messer – oder einer Gabel – oder einem Speer – oder auch nur mit einem gottverhämmerten Splitter in der Hand, wenn du nicht vorhast, ihn damit zu töten. Man erwartet zwar Temperament bei einem Küchenchef, aber Temperament ist keine Entschuldigung für einen Angriff auf die Person des Hauptmanns der Außenwache. Hast du mich verstanden?«
    Der Küchenchef gab ein jammerndes, aufmüpfiges Gemurmel von sich, das Jack nicht recht verstand – der Akzent des Mannes wurde immer dicker –, aber es hatte etwas mit der Mutter des Hauptmanns und den Hunden auf der Müllkippe hinter dem Pavillon zu tun.
    »Das mag sein«, sagte der Hauptmann. »Ich kannte die Dame nicht. Aber es ist keine Antwort auf meine Frage.« Er tippte den Küchenchef mit einem staubigen, abgetragenen Stiefel an. Es war ein sanfter Stoß, aber der Küchenchef schrie, als hätte der Hauptmann den Fuß zurückgezogen und ihm mit aller Kraft einen Tritt versetzt. Die Frauen tuschelten wieder.
    »Sind wir uns einig über das Thema Küchenchefs und Waffen und Hauptleute? Wenn wir uns nicht einig sind, wäre vielleicht etwas mehr Belehrung angebracht.«
    »Wir sind uns einig«, stieß der Küchenchef heraus. »Ja, das sind wir, wir sind uns einig. Wir …«
    »Gut. Weil ich heute nämlich schon genug Belehrungen zu erteilen hatte.« Er packte Jack im Genick und schüttelte ihn. »Stimmt’s, Junge?« Er schüttelte ihn abermals, und Jack stieß einen völlig ungeheuchelten Schmerzensschrei aus. »Das dürfte so ziemlich alles sein, was er zu sagen hat. Der Junge ist ein Einfaltspinsel. Wie seine Mutter.«
    Der Hauptmann ließ seinen Blick durch die Küche wandern.
    »Guten Tag, meine Damen. Der Segen der Königin über euch.«
    »Gleichfalls, Herr«, brachte die Älteste unter ihnen heraus und sank in einen verlegenen, ungeschickten Knicks. Die anderen folgten ihrem Beispiel.
    Der Hauptmann schleifte Jack durch die Küche. Jacks Hüfte schlug mit schmerzhafter Gewalt an die Kante des Waschtrogs, und er heulte abermals auf. Dampfende Wassertropfen spritzten auf die Dielen und liefen ihnen zischend zwischen die Füße. Die Frauen hatten ihre Hände da drin, dachte Jack. Wie halten sie das nur aus? Dann schob der Hauptmann Jack, den er mittlerweile fast trug, durch einen anderen Segeltuchvorhang und in den dahinterliegenden Gang.
    »Puh!« sagte er mit unterdrückter Stimme. »Das gefällt mir nicht, ganz und gar nicht. Das hat einen üblen Geruch.«
    Links, rechts, dann abermals rechts. Jack hatte das Gefühl, dass sie sich den Außenwänden des Pavillons näherten, und er hatte genügend Zeit, um sich darüber zu wundern, dass er im Innern viel größer schien als von außen. Dann schob ihn der Hauptmann durch eine Klappe, und sie standen wieder im Tageslicht – frühnachmittäglichem Tageslicht, das nach der wechselnden Düsternis des Pavillons so grell war, dass Jacks Augen schmerzten und er sie schnell zusammenkneifen musste.
    Der Hauptmann zögerte keine Sekunde. Schlamm platschte und spritzte unter ihren Füßen. Es roch nach Heu und Pferden und Mist. Jack öffnete die Augen wieder und sah, dass sie etwas überquerten, das eine Koppel sein mochte oder ein Pferch oder vielleicht auch nur ein Scheunenhof. Er sah einen offenen Verschlag mit Segeltuchwänden und hörte von irgendwo dahinter Hühner gackern. Ein hagerer Mann, nackt bis auf einen schmutzigen Kilt und Riemensandalen, warf Heu in einen offenen Stall; dazu benutzte

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