Der Tanz Der Klingen
nahm den Zylinder ab und hob die Laterne an die Flügellampe, um den Docht anzuzünden. Als die Flamme stetig brannte, brachte er den Zylinder wieder an und begab sich auf die Suche nach J 6. Wie sich herausstellte, handelte es sich um einen großen achtseitigen Raum, still und verwaist, gespenstisch ob der Rückstände von Geistigkeit, die gleich alten Kochgerüchen darin schwebten. Was nach einer Schranktür auf der gegenüberliegenden Seite aussah, öffnete sich zu einer Treppe, die in den Fels hinabführte. Die einzigen Treppen, die Radu in Vamky je gesehen hatte, verliefen nach oben in die Türme, weshalb Neugier seine Müdigkeit verdrängte, als er hinabzusteigen begann. Zweifellos drang er in ein Gebiet vor, das den Rängen der Beschwörer vorbehalten war, doch er hatte eine hervorragende Ausrede, ein wenig herumzuschnüffeln, was stets ein Vergnügen war. Die gerade und gefährlich steile Treppe endete schließlich an einer Gabelung, an der drei Gänge aufeinander trafen. Hier bestanden die Wände wieder aus Steinblöcken statt aus unbearbeitetem Fels. Angaben an der Wand bestätigten, dass er sich auf Ebene 2 und immer noch im blauen Flügel befand. Weitere, noch steilere Stufen führten in tiefere Gefilde.
Vamky war riesig. Selbst im Winter, wenn die meisten der Expeditionskorps zum Stützpunkt zurückkehrten, herrschte im Kloster nie Platzmangel. Weshalb also war Kantor Samuil so weit abseits von den übrigen Brüdern untergebracht? Bis er von der Messe zurückkehrte, musste es fast schon wieder Zeit für die nächste Mahlzeit sein.
Die zweite Treppe zog sich zunächst durch Fels, anschließend wieder durch Mauerwerk, bog erst ein Mal, dann zwei Mal scharf nach links und endete an einem Gittertor, hinter dem Licht zu erkennen war, jede Menge Licht. Wie es schien, war Ebene 1, Gang A des blauen Flügels ein Kerker, und gewiss nicht die Verwahrstätte, in der fehlgeleitete Novizen und Knappen landeten. Die nämlich kannte Radu nur zu gut, und es war ein hässlicher Ort, an dem stets reges Treiben herrschte.
Von der untersten Stufe spähte er mit wachsendem Erstaunen durch das Gitter. Die erste Überraschung war die verschwenderische Beleuchtung. Mit Öl wurde stets sparsam umgegangen, dennoch leuchteten etwa ein Dutzend Hängelampen diesen Ort nachgerade blendend hell aus. Anscheinend war der Pfad hier zu Ende, denn es gab keinen offensichtlichen Ausgang. Sechs Türen entlang der rechten Wand sahen wie die Eingänge üblicher Klosterzellen aus, ähnlich jenem Rot 7, A 17 Dusburgs oder seinem eigenen, Grün 5, F 97. Er war zu weit entfernt, um die in das Holz gebrannten Nummern zu erkennen, aber wenn eine der Türen A 5 war, handelte es sich bei Kantor Samuil um einen Kerkermeister, der nah bei seinen Schützlingen leben musste.
An der gegenüberliegenden Wand prangten vier Türen aus Metallgittern, Verliese für Häftlinge. Falls eine jener Türen A 5 war, schien der Gedanke, den Brief Samuil persönlich zu überreichen, dämonisch verlockend und ungemein töricht zugleich.
Am überraschendsten von allem war ein Bohlentisch in der Mitte des langen Raums, denn darauf lagen sich ein paar Bücher, zwei Arme und ein Kopf. Der Körper dazu gehörte einem weiß gewandeten Mann mit Schwert, dessen Hintern auf einer Bank neben dem Tisch ruhte. Er schnarchte, als wollte er einen ganzen Wald zersägen. Ob des hellen Lichts konnte Radu erkennen, dass der Schwertgurt des Mannes violett war, was bedeutete, dass er – man stelle sich vor – ein Präzeptor war. Aber welcher Gefangene rechtfertigte es, dass ein ranghoher Meister ihn bewachte? Ritter, die man während des Dienstes schlafend ertappte, wurden ohne großes Federlesen hingerichtet. Meldete Radu dieses Vergehen, brächte er den Sünder in ernste Gefahr, doch er konnte dadurch auch selbst in Schwierigkeiten geraten. Schließlich wusste er, dass er in Angelegenheiten gestolpert war, die ihn nichts angingen.
Er schlich die Treppe zurück hinauf, bis er außer Sicht war, dann hüstelte er. Das Schnarchen setzte sich unvermindert fort. Er stampfte mit den Füßen, doch Sandalen erzeugten nur kümmerlichen Lärm. Radu gab es auf, begab sich wieder hinunter und strich mit dem Schwertheft klirrend über die Gitterstäbe. Das Schnarchen setzte nicht einmal aus, dafür bewegte sich das Tor.
Radu hatte vermutet, es wäre versperrt, was es zweifellos auch sein sollte. Gebot seine Treuepflicht der Bruderschaft gegenüber, dass er diese Nachlässigkeit meldete? Er
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