Der Tanz Der Klingen
unzugänglichen Gebirgshängen konnten Köhler nichts anfangen. Forste wurden etwa alle achtzehn Jahre gefällt, folglich konnte Radu das Hauptaugenmerk auf Gebiete legen, in denen aus den gekappten Strünken wieder Unterholz gewachsen war. Der Klang einer Axt hallte über weite Entfernungen. Nach wenigen Tagen stieß er auf einen Mann, der Aste abhackte und erkannte dessen Gefährten – eine Frau und ein Kleinkind, das fröhliche Rufe ausstieß, während es auf kurzen Beinchen vor ihr weglief. Sie sahen Radu nicht, dabei hätte er ebenso gut ein Feind sein können, der trachtete, dem Kind ein Leid anzutun! Fürst Volpe hatte Recht gehabt, als er meinte, es gäbe sicherere Ort, um den rechtmäßigen Thronfolger zu verstecken.
Ein Köhlererdwall war weit und breit nicht zu sehen. Der Mann war noch damit beschäftigt, Unterstände zu bauen, offensichtlich als Vorbereitung auf das Eintreffen einer größeren Gruppe. Je früher das Kind in Gewahrsam genommen werden konnte, desto besser. Doch Radus Befehle untersagten ihm, es allein zu versuchen.
Stattdessen ging er zurück zu seinem angebundenen Pferd und ritt los. Um Mitternacht traf er in Vamky ein. Das Losungswort Juwelentruhe verschaffte ihm Einlass. Er meldete seine Rückkehr dem Adjutanten des Probstes und stand wenige Minuten später vor Volpe höchstpersönlich, der aussah, als wäre er gerade erst geweckt worden, obwohl die Decke auf seiner Pritsche ordentlich gefaltet war.
»Wirklich gut gemacht, Bruder. Ich stimme dir zu, dass Eile geboten ist. Kommst du eine Nacht ohne Schlaf zurecht?«
»Herr«, sagte Radu. Konnte es eine andere Antwort geben?
Zwei Stunden später ritt er mit einer Schwadron unter Führung von Oberritter Bâthory wieder los. Bereits bei Sonnenaufgang schloss sich ein Ring bedrohlich wirkender Ritter auf Pferden um das Lager der Köhler, obwohl immer noch nur die beiden Erwachsenen mit dem Kind zugegen waren. Radu stieg ab und näherte sich ihnen. Die Frau, Voica, hob den Knaben hoch und suchte Schutz bei ihrem Mann. Letzterer war kaum kleiner als Radu und hatte eine Axt, wenngleich die Klinge auf dem Boden ruhte und er sorgsam darauf achtete, sie nicht drohend zu heben. Fahle Augen starrten ihn aus rußgeschwärzten Gesichtern an.
»Ich kenne dich, Voica«, verkündete Radu.
»Und ich kenne dich, Radu Priboi«, gab sie zurück. Sie musste ihn an der Stimme erkannt haben, denn die Gesichtsplatte, die Wangenteile und das Visier seines Helms verbargen sein gesamtes Antlitz mit Ausnahme der Augen.
»Mein Name tut nichts zur Sache. Auch den Knaben kenne ich, denn ich habe ihn in Krupa gesehen. Hier ist er nicht sicher. Andere könnten ihn ebenso einfach finden wie ich. Wir bringen ihn an ein sichereres Versteck. Du bist herzlich eingeladen, ihn zu begleiten.« Als er sah, dass ihre Augen zu ihrem Mann zuckten, fügte er hinzu: »Er auch, wenn er will. Man wird euch alle gut behandeln.«
»Schwörst du das?«, knurrte der Mann.
»Ich schwöre es.«
»Und wenn wir uns weigern?«
Das war genau, was Radu fürchtete. Dieses wurzellose Bergvolk hing inbrünstig an seiner Freiheit. Würden sie tatsächlich so wahnsinnig sein, der Bruderschaft zu trotzen?
»Wir werden den Jungen mitnehmen. Was sonst noch geschieht, liegt ganz bei euch.« Und dann überstieg er seine Befehle, indem er hinzufügte: »Bitte wehrt euch nicht. Wenn wir Gewalt anwenden müssen, werden wir keine Zeugen zurücklassen.«
»Wir vertrauen dir, Radu«, erklärte Voica.
Somit wurde die Mission gewaltlos erfüllt. An jenem Nachmittag sah Radu, wie der Knabe und seine zwei Beschützer Vamky betraten, doch er hatte keine Ahnung, wohin man sie danach brachte oder was aus ihnen wurde.
In jener Nacht hatte er sich noch kaum auf die Pritsche gelegt, als er abermals zum Bannerherrn Dusburg gerufen wurde.
»Hervorragende Arbeit, Radu. Du wirst mit sofortiger Wirkung zum Oberritter befördert. Meinen Glückwunsch. Du machst beachtliche Fortschritte.«
Radu konnte nur ein »Herr!«, hervorstoßen. Natürlich hatte er auch Glück gehabt, aber der Zufall spielte in der Laufbahn jedes Menschen eine Rolle. Nun war er wieder zwei Ränge vor seinem aufsehenerregenden jüngeren Bruder. Doch er bezweifelte, dass er diesen Vorsprung lange halten würde.
»Überbring diesen Brief«, befahl Dusburg, »und zwar mit angemessener Eile – ›angemessen‹ bedeutet in diesem Fall, dass du die Pferde und vorzugsweise auch dich selbst nicht verletzen sollst. Bannerherr Catavolinos wurde bereits
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