Der Tanz Der Klingen
Leichnam mit dem Dolch im Auge. Das Ding trat mit dem schweren Stiefel nach ihm. Kühn versuchte, sich wegzurollen, aber sein Angreifer folgte ihm und traf ihn mehrere Male mit knochenbrecherischer Wucht. Kühne konnte nicht mehr atmen; er war so gut wie tot.
Dann eilten Aragon und Baron von Fader mit ihren Lichtern herbei, die den Untoten wieder zu Rauchschwaden verblassen ließen.
»Rasch!«, brüllte der Baron. Mit dem weiten, weißen Nachtgewand um den fülligen Leib und den ebenso weißen Haar- und Bartbüscheln, die in alle Richtungen staken, war er selbst eine furchteinflößende Erscheinung. »Bevor sie entkommen! Wir müssen die Schattengestalten hier bannen. Kommt, kommt!«
»Bernard?«, krächzte Kühn und rang ob der Schmerzen in seinen Rippen nach Luft.
»Bernard ist tot!«, brüllte Aragon. »Kannst du laufen?« Er hatte beide Hände voller Laternen, trug vier Stück.
»Schnell, schnell, schnell!«, drängte der Baron mit seiner schrillen Stimme. »Sie entkommen. Sie werden den Palast angreifen! Beeilt euch!«
Bernard begann, sich aufzurichten, die Augen ausdruckslos wie weiße Kiesel. Kühn mühte sich auf die Beine und hob Quietus auf. Zwischen den beiden anderen Männern wankte er zurück zur Treppe. Die Schattengestalten folgten ihnen, fünf bedrohliche, kaum sichtbare Schemen am Rand des Lichts, einer davon kopflos.
Der Großherzog in seinem schweren, roten Gewand versuchte, den noch heilen Kerzenständer zu kippen. Seine beiden Diener eilten halbnackt mit noch mehr Licht herbei.
»Halt!«, schrie Kühn.
»Nein!«, widersprach der Baron. »Dieses Ding muss weg.« Damit warf er sein erhebliches Gewicht in die Wagschale. Der Kerzenständer erbebte. Doch erst, als Aragon mithalf, kippte und stürzte er, schlug mit dem Lärm eines herabfallenden Schmiedehammers auf dem Boden auf. Die meisten Kerzen erloschen, die übrigen trat der Baron in einem absonderlichen Tanz aus, während er gleichzeitig seine verästelten Kerzenhalter schwenkte und Gefahr lief, sich selbst in Brand zu stecken. Dann hasteten die sechs lebendigen Männer zusammen die Treppe hinauf, überließen das Erdgeschoss der Dunkelheit und den Toten.
Sie drängten sich in das Herzogsgemach und schlugen die Tür zu. Der Baron ließ sich auf einen Stuhl fallen, der darauf besorgniserregend knarrte. Der Großherzog warf sich aufs Bett und vergrub das Gesicht in den Laken.
»Wir müssen den Palast warnen«, flüsterte Kühn eindringlich. In seiner geschundenen Brust loderte der Schmerz.
»Nein, schon gut!«, erklärte Baron von Fader, der nach der Anstrengung deutlich schnaufte. »Schattenherren sind in der Dunkelheit zwar tödlich, andererseits können sie dann nicht durch Wände gelangen.«
»Können sie nicht einfach die Türen öffnen und hinauslaufen?«, fragte Aragon.
Der fettleibige Mann zuckte mit den Schultern. »Ich hoffe, das tun sie nicht. Sie wollen uns und werden in unserer Nähe bleiben. Wenn natürlich jemand anders kommt oder zu nahe am Haus vorbeigeht… dann könnte es schon sein. Jedenfalls werden sie beim ersten Tageslicht sterben.«
Richey war tot. Bernard war tot. Und Kühn wünschte, er wäre es.
Schwester Trudy würde allein frühstücken müssen.
I
N MORGENDLICHER LUFT
1
»Herein!«, rief Großmeister.
Sir Tancred tat, wie ihm geheißen und schloss die schwere Tür hinter sich, wobei er sich mit der katzengleichen Anmut eines Fechters ersten Ranges bewegte. Er hatte die schlammverspritzten Reisegewänder gegen eine frische, adrette Livree getauscht, und niemand konnte ihm mehr ansehen, dass er den Großteil eines Tages und einer Nacht auf dem Rücken eines Pferdes verbracht hatte. Sein silbernes Bandelier kennzeichnete ihn als Stellvertretenden Befehlshaber der Königlichen Garde; und seine Anwesenheit hier in Eisenburg, fern der Hauptstadt Grandon, wo der König sich aufhielt, ließ erahnen, dass etwas schwer außer Ordnung geraten war.
»Alle im Bett?«, erkundigte Großmeister sich trocken. »Meine Schützlinge schon. Eure beiden stehen sich gegenseitig beim Anziehen im Weg.« Tancreds dünnes Lächeln war eine Höflichkeit und vermochte nicht, über die darunter schwelende Sorge hinwegzutäuschen. »Es sei denn, sie sind zu dem Schluss gekommen, es war bloß ein Albtraum, und haben sich wieder schlafen gelegt.«
Großmeister grunzte nur und drehte sich um, starrte aus dem Fenster auf den ersten Schimmer der Morgenröte auf der wilden Landschaft von Kahlmoor. Die Kälte des frühen Morgens kroch ihm in die
Weitere Kostenlose Bücher