Der Tanz des Maori (epub)
der dunklen Ecke des Ladens lieà sie zusammenfahren. Eine kleine Gestalt erhob sich von einem der alten Stühle und trat in das schwache Licht. WeiÃe, kurz geschnittene Haare und ein dunkles Gesicht mit tief liegenden schwarzen Augen, die Sina durchdringend musterten. Die drahtige Frau wirkte eigentlich selber wie ein Ausstellungsstück, eine polynesische Mumie. Sina konnte ihr Alter beim besten Willen nicht schätzen. Um der wortlosen Musterung zu entkommen, griff sie spontan nach dem Album und lächelte. »Das würde ich gerne kaufen.«
Die Alte nickte, als ob sie mit dieser Erklärung gerechnet hätte. »Sicher willst du das«, sagte sie mit einer erstaunlich jungen, kraftvollen Stimme. »Du siehst genauso aus wie sie!«
Sina war sich nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. »Wie sie?«
Die Alte nickte überzeugt. »Wie meine Schwester!«
Sina schüttelte den Kopf. Die Schwester dieser kleinen Frau, die an ein zähes Stück Leder erinnerte, sah ihr bestimmt nicht ähnlich. An Sina war nichts Dunkles. Ihre Haare waren von einem dunklen Blond mit warmen Goldreflexen, ihre Augen je nach Stimmung hellgrün oder hellblau. Ihre Haut war nach zwei Wochen in Neuseeland leicht gebräunt, auf der Nase zeichneten sich ein paar Sommersprossen ab.
Die Alte lieà sich von ihrer Einschätzung jedoch nicht abbringen. Mit einem festen Griff fasste sie an Sinas Kinn und drehte ihr Gesicht in das schwache Licht. Ihre schwarzen Augen musterten Sina und sahen sie prüfend an. Sina hatte für einen kurzen Moment das Gefühl, die Frau könnte ihre geheimsten Gedanken lesen. Dann nahm sie sogar mit ihren knotigen Fingern Sinas Zopf zwischen die Finger. Wie zur Bestätigung nickte sie noch einmal, diesmal heftiger. »Genau wie sie!«
Um dieser offensichtlich verwirrten Alten zu entkommen, machte Sina ein paar Schritte rückwärts. »Ich glaube, Sie verwechseln mich. Ich bin zum ersten Mal in Neuseeland, ich habe hier sicher keine Verwandtschaft.« Sie zwang sich zu einem Lachen, das sogar in ihren eigenen Ohren etwas zu schrill klang. »AuÃerdem: Sind Sie nicht eine Maori?«
»Ich schon«, nickte die Alte. »Aber nicht meine Schwester.«
Sina hatte endgültig genug von dem wirren Gebrabbel der alten Maori. Sie sah sich nach Katharina um. Die hatte ihrer kleinen Unterredung offensichtlich keine Beachtung geschenkt, sondern untersuchte immer noch mit gerunzelter Stirn die alte Nähmaschine und bewegte probeweise das Schwungrad mit einer Hand. Sina legte ihrer Freundin die Hand auf die Schulter. »Komm, wir gehen!«, erklärte sie.
Katharina hörte die Dringlichkeit in Sinas Stimme. Sie stand auf und klopfte sich den Staub von ihrer Hose. »Was ist denn los? Wir haben doch noch gar nicht alles gesehen. Findest du das nicht alles wahnsinnig aufregend? Wenn diese Sachen reden könnten â¦Â«
Sina schüttelte den Kopf und deutete möglichst unauffällig zu der Ladenbesitzerin, die ihr zum Glück nicht gefolgt war. »Die alte Schachtel erzählt mir ständig, dass ich ihrer Schwester ähnlich sehe. Völliger Blödsinn, das ist eine Maori â¦Â«
Schulterzuckend wandte Katharina sich zur Tür. »Okay, gehen wir zu Mary-Ann und kümmern uns um unseren Eintopf. Wird sonst sowieso zu spät â¦Â«
Eine Spur zu hastig riss Sina die Tür auf und flüchtete aus der staubigen Atmosphäre des Ladens. Sie holte tief Luft. Mit einem Mal war ihr die Anwesenheit der alten Frau beklemmend vorgekommen. Doch noch bevor sie ihre Lungen ein zweites Mal mit der klaren frischen Luft gefüllt hatte, klingelte noch einmal die Türglocke des kleinen Antiquitätenladens. Die alte Maori tauchte neben ihr auf und hielt ihr das in Leder gebundene Album auffordernd vor das Gesicht. »Das musst du mitnehmen! Es gehört dir!«, erklärte sie dabei mit ernster Miene.
Sina schüttelte den Kopf. »Ich habe es doch gar nicht bezahlt, es gehört mir also ganz sicher nicht!«
»Doch.« Die Frau hielt ihr das Album noch drängender hin. »Du musst es nicht kaufen. Es gehörte dir von Anbeginn an.«
Hilfe suchend sah Sina Katharina an. »Sag was!«, flüsterte sie leise.
Katharina machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nimm das Ding einfach. Vielleicht nervt sie dann nicht mehr.«
Sie hatte deutsch gesprochen, die Maori konnte sie also nicht verstehen. Trotzdem
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