Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
Minuten später befand ich mich wieder mitten im heftigsten Dolmetschen. Vier Tiger-Panzer fuhren vor dem Hauptquartier vor, und zwei Dutzend deutsche Infanteristen saßen ab,
um uns mit Maschinenpistolen zusammenzutreiben.
»Sagen Sie was«, befahl der Oberst, couragiert bis zum Schluß.
Ich ließ den Blick über die linken Spalten meiner Broschüre schweifen, bis ich die Redensart fand, die unsere Gefühle am angemessensten zum Ausdruck brachte. »Nicht
schießen«, sagte ich.
Ein deutscher Panzeroffizier stolzierte herein, um seinen Fang zu begutachten. In der Hand hielt er eine Broschüre, geringfügig kleiner als meine. »Wo sind Ihre Haubitzen?«
sagte er.
DURCHGEBRANNT
S ie hinterließen einen Zettel, auf dem stand, Teenager seien zu wahrer Liebe so fähig wie
sonstwer –, vielleicht fähiger. Und dann machten sie sich mit unbekanntem Ziel davon.
Sie setzten sich mit dem alten blauen Ford des Jungen ab, von dessen Rückspiegel Babyschuhe baumelten und auf dessen aufgeplatztem Rücksitz sich Comics stapelten.
Sofort wurde die Polizei alarmiert, und in den Zeitungen und im Fernsehen erschienen ihre Fotos. Aber sie wurden vierundzwanzig Stunden lang nicht gefaßt. Sie schafften es die ganze
Strecke bis hin nach Chicago. Dort sah sie ein Streifenpolizist, als sie gemeinsam in einem Supermarkt einkauften, erwischte sie, als sie sich, so schien es, einen lebenslangen Vorrat an
Süßigkeiten, Kosmetika, Limonade und Tiefkühlpizza zulegten.
Der Vater des Mädchens gab dem Streifenpolizisten zweihundert Dollar Belohnung. Der Vater des Mädchens war Jesse K. Southard, der Gouverneur des Staates Indiana.
Deshalb bekamen sie so viel Publicity. Es war aufregend, wenn ein Junge aus der Besserungsanstalt, ein Junge, der im Klub des Gouverneurs den Rasen gemäht hat, mit der Tochter des
Gouverneurs durchbrannte.
Als die Staatspolizei von Indiana das Mädchen zurück in die Gouverneursvilla in Indianapolis brachte, gab Gouverneur Southard bekannt, er werde sofort Schritte unternehmen, um die Ehe
annullieren zu lassen. Ein respektloser Reporter wies darauf hin, daß es kaum eine Annullierung geben werde, da keine Ehe geschlossen worden sei.
Der Gouverneur explodierte. »Dieser Junge hat sie nie angerührt, weil sie ihn nicht gelassen hat! Und ich werde jedem eins überziehen, der etwas anderes behauptet.«
Die Reporter wollten naturgemäß mit dem Mädchen reden, und der Gouverneur sagte, sie würde in etwa einer Stunde eine Erklärung abgeben. Das wäre nicht ihre erste
Erklärung zu der Eskapade gewesen. In Chicago hatten sie und der Junge bereits Reportern und Polizisten eine Vorlesung über Liebe, Heuchelei, die Verfolgung von Teenagern, die
Gefühllosigkeit von Eltern und sogar Raketen, Rußland und die Wasserstoffbombe gehalten.
Als das Mädchen jedoch mit der neuen Erklärung die Treppe herunterkam, widersprach es allem, was es in Chicago gesagt hatte. Es las drei maschinengeschriebene Seiten vor und sagte, das
Abenteuer sei ein Albtraum gewesen, sagte, es liebe den Jungen nicht und habe ihn nie geliebt, sagte, es müsse wahnsinnig gewesen sein, und sagte, es wolle den Jungen nie wiedersehen.
Es sagte, die einzigen Menschen, die es liebe, seien seine Eltern, sagte, es wisse gar nicht, wie es all das Herzeleid, das es ihnen bereitet habe, je wiedergutmachen solle, sagte, es werde sich
darauf konzentrieren, in der Schule gut mitzukommen, damit es aufs College könne, und sagte, es wolle nicht für Fotos posieren, weil es nach allem, was es durchgemacht habe, so
schrecklich aussehe.
So schrecklich sah sie gar nicht aus, außer daß sie sich die Haare rot gefärbt und der Junge ihr einen furchtbaren Haarschnitt verpaßt hatte, um sie unkenntlich zu machen.
Und sie hatte ein bißchen geweint. Sie sah nicht müde aus. Sie sah jung und wild und eingefangen aus –, das war alles.
Sie hieß Annie –, Annie Southard.
Als die Reporter gingen, als sie gingen, um dem Jungen die neueste Erklärung des Mädchens zu zeigen, wandte sich der Gouverneur an seine Tochter und sagte ihr: »Ich möchte
dir herzlich danken. Ich weiß gar nicht, wie ich dir je genug danken kann.«
»Du dankst mir dafür, daß ich all diese Lügen ausgesprochen habe?« sagte sie.
»Ich danke dir für einen sehr bescheidenen Anfang im Wiedergutmachen all des Schadens, den du angerichtet hast«, sagte er.
»Mein eigener Vater, der Gouverneur des Staates Indiana«, sagte Annie, »hat mir befohlen zu lügen. Das werde ich nie
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