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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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Jungen das Thema. Er hatte ihn sich seit einem Monat stehen lassen und war soeben
auf frischer Tat von seinem Vater dabei ertappt worden, daß er ihn mit Schuhwichse schwärzte.
    Der Junge hieß Rice Brentner. Es stimmte, wie die Zeitungen schrieben, daß Rice Zeit in der Besserungsanstalt verbracht hatte. Das lag jetzt drei Jahre hinter ihm. Sein Verbrechen
hatte, als er dreizehn war, im Diebstahl von sechzehn Autos innerhalb einer Woche bestanden. Bis auf die Eskapade mit Annie hatte er sich seitdem nichts Ernsthaftes zuschulden kommen lassen.
    »Du marschierst ins Badezimmer«, sagte seine Mutter, »und rasierst das schreckliche Ding ab.«
    Rice marschierte nicht. Er blieb genau da, wo er war.
    »Du hast gehört, was deine Mutter gesagt hat«, sagte sein Vater. Als Rice sich immer noch nicht rührte, versuchte sein Vater, ihn mit Hohn zu verletzen. »Damit
fühlt er sich wie ein Mann, glaube ich –, wie ein großer, toller Mann«, sagte er.
    »Er sieht damit aber nicht aus wie ein Mann«, sagte seine Mutter. »Er sieht damit aus wie ein Ich-weiß-nicht-was-es-ist.«
    »Gerade hast du’s ausgesprochen«, sagte sein Vater. »Genau das ist er: ein Ich-weiß-nicht-was-es-ist.« So ein Etikett zu finden, schien den Vater des Jungen
ein bißchen zu erleichtern. Er war, wie erst eine und dann alle Zeitungen betonten, ein Neunundachtzig-Dollar-und-zweiundsechzig-Cent-die-Woche-Mann in der Materialverwaltung der
Schulbehörde. Mit gutem Grund nahm er dem Reporter, der diese Zahl aus den öffentlichen Archiven gekramt hatte, seine Gründlichkeit übel. Besonders die zweiundsechzig Cent
ärgerten ihn maßlos. »Ein Neunundachtzig-Dollar-und-zweiundsechzig-Cent-die-Woche-Mann hat einen Ich-weiß-nicht-was-es-ist zum Sohn«, sagte er. »Die Familie
Brentner hat es wirklich herrlich weit gebracht.«
    »Ist dir eigentlich klar, wieviel Glück du hast, daß du nicht im Gefängnis verschimmelst?« sagte Rice’ Mutter. »Wenn sie dich im Gefängnis
hätten, würden sie dir nicht nur den Schnurrbart abrasieren, ohne auch nur vorher zu fragen –, sie würden dir jedes einzelne Haar auf dem Kopf abrasieren.«
    Rice hörte nicht richtig zu, nur genug, um weiter behaglich schwelen zu können. Er dachte an sein Auto. Er hatte es mit Geld bezahlt, das er selbst verdient hatte. Es hatte seine
Familie keine zehn Cent gekostet. Jetzt schwor Rice sich, wenn seine Familie versuchen sollte, ihm das Auto abzunehmen, würde er für immer von zu Hause abhauen.
    »Über Gefängnisse weiß er Bescheid. Da war er schon mal«, sagte sein Vater.
    »Soll er doch seinen Schnurrbart behalten, wenn er will«, sagte seine Mutter. »Ich fände es nur schön, wenn er einmal in einen Spiegel sehen wollte, damit er sieht,
wie blöd er damit wirkt.«
    »Na schön –, soll er ihn behalten«, sagte sein Vater, »aber ich werde dir sagen, was er nicht behält, und darauf gebe ich dir mein Ehrenwort, nämlich
sein Automobil.«
    »Amen!« sagte seine Mutter. »Er wird zu einem Gebrauchtwagenhändler marschieren, und er wird den Wagen verkaufen, und dann wird er zur Bank hinübermarschieren und das
Geld auf sein Sparkonto einzahlen, und dann wird er nach Hause marschieren und uns das Sparbuch geben.« Während sie dies komplizierte Versprechen äußerte, wurde sie immer
kriegerischer, bis sie, gegen Ende, mit John Philip Sousa im Takt marschierte.
    »Das war aber ein langer Satz!« sagte ihr Mann.
    Und nachdem nun das Auto-Thema eingeführt worden war, wurde es das dominante und lauteste von allen Themen. Der alte blaue Ford war für Rice’ Eltern so ein beängstigendes
Symbol katastrophaler Freiheit, daß sie ohne Ende darüber jammern konnten.
    Und diesmal jammerten sie auch so gut wie ohne Ende darüber.
    »Also –, das Auto kommt weg«, sagte Rice’ Mutter, die auch mal wieder atmen mußte.
    »Und dann ist Schluß mit dem Wagen«, sagte sein Vater.
    »Und dann ist Schluß mit mir«, sagte Rice. Er ging zur Hintertür hinaus, stieg in sein Auto, stellte das Radio an und fuhr davon.
    Aus dem Radio kam Musik. Das Lied erzählte von zwei Teenagern, die heiraten wollten, obwohl sie total pleite waren. Der Refrain ging so:
    Wir haben keinen Einrichtungsfimmel,
    Unser Häuschen ist gar nicht perfekt,
    Doch es sieht aus wie ein Stück vom Himmel,
    Denn die Liebe, Baby, ist unser Innenarchitekt.
    Rice fuhr zu einer Telefonzelle, etwa eine Meile von der Gouverneursvilla entfernt. Er wählte die Privatnummer der Familie des Gouverneurs.
    Er zwängte

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