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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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vergessen.«
    »Das ist nicht der letzte Befehl, den du von mir bekommen wirst«, sagte er.
    Hörbar sagte Annie nichts, aber im Geiste belegte sie ihre Eltern mit einem Fluch. Sie schuldete ihnen nichts mehr. Bis ans Ende ihrer Tage würde sie sich ihnen gegenüber kalt und
gleichgültig zeigen. Der Fluch trat mit sofortiger Wirkung in Kraft.
    Annies Mutter, Mary, kam die Wendeltreppe herab. Sie hatte oben auf dem Treppenabsatz den Lügen gelauscht. »Ich finde, du hast das sehr gut geregelt«, sagte sie zu ihrem
Mann.
    »So gut ich konnte, unter den Umständen«, sagte er.
    »Ich wünschte nur, wir könnten einmal sagen, was wirklich gesagt werden muß«, sagte Annies Mutter. »Wenn wir einfach mal sagen könnten, daß wir
nichts gegen die Liebe haben, und daß wir nichts gegen Leute haben, die kein Geld haben.« Sie wollte ihre Tochter tröstend berühren, wurde aber von Annies Blick davor gewarnt.
»Wir sind keine Snobs, Liebling –, und wir sind nicht gefühllos gegenüber der Liebe. Die Liebe ist das Wunderbarste, was es gibt.«
    Der Gouverneur drehte sich um und blickte zornig aus dem Fenster.
    »Wir glauben an die Liebe«, sagte Annies Mutter. »Du hast doch gesehen, wie sehr ich deinen Vater liebe und wie dein Vater mich
liebt –, und wie sehr dein Vater und ich dich lieben.«
    »Wenn du etwas sagen willst, dann sag es«, sagte der Gouverneur.
    »Ich dachte, ich hätte es gesagt«, sagte seine Frau.
    »Sprich über Geld, sprich über Herkunft, sprich über Bildung und Erziehung, sprich über die richtigen Freunde, sprich über gemeinsame Interessen«, sagte der
Gouverneur, »und dann kannst du auf die Liebe zurückkommen, wenn du willst.« Er sah seine Frauen an. »Sprich meinetwegen gern auch über Glück«, sagte er.
»Triff dich wieder mit diesem Jungen, halte diese Sache am Laufen, heirate ihn, wenn du alt genug bist, wenn wir dich nicht mehr davon abhalten können«, sagte er zu Annie,
»und du wirst nicht nur die unglücklichste Frau der Welt sein, sondern er wird der unglücklichste Mann der Welt sein. Das wird ein Schlamassel, auf den du dann wirklich stolz sein
kannst, denn ihr werdet geheiratet haben, ohne auch nur eine einzige Bedingung für eine glückliche Ehe erfüllt zu haben –, und mit einziger Bedingung meine ich eine
einzelne, einzige Gemeinsamkeit. Was hast du denn für eure Freunde geplant?« sagte er. »Seine Bande hinten im Poolbillardzimmer oder deine Bande im Country Club? Würdest du
ihm erst mal ein schönes Haus und schöne Möbel und ein schönes Auto kaufen –, oder würdest du warten, bis er das kauft, was er
sich allerdings erst so um den Sankt-Nimmerleins-Tag herum wird leisten können? Magst du Comics so gern wie er? Magst du die gleichen Comics?« schrie der Gouverneur. »Wer glaubst
du, wer du bist?« fragte er Annie. »Glaubst du, du bist Eva, und Gott hat nur einen Adam für dich gemacht?«
    »Ja«, sagte Annie, ging nach oben in ihr Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Augenblicke später drang Musik aus ihrem Zimmer. Sie spielte eine Schallplatte.
    Der Gouverneur und seine Frau standen vor der Tür und lauschten dem Text des Liedes. Dies war der Text:
    Zu jung für die Liebe, das sagen sie gerne,
    Bu-wa-wa, aha, yeah.
    Doch wir sind nicht zu jung für die Botschaft der Sterne,
    Bu-wa-wa, aha, yeah.
    Also halte mich, halte mich, Baby,
    Und du wirst mein armes Herz zum Singen bringen.
    Die sollen sagen, was sie wollen, Baby,
    Wir stehen über den Dingen.
    Acht Meilen entfernt, acht Meilen direkt südlich davon, durch das Herz der Stadt hindurch und am anderen Ende hinaus, klumpten sich Reporter auf der Veranda des Hauses, in
dem der Vater des Jungen wohnte.
    Es war alt, billig, damals günstig zu haben gewesen, ein Bungalow aus dem Jahre 1926. Seine Vorderfenster boten einen Blick auf das immerwährend feuchte Zwielicht der geräumigen
Veranda. Die Seitenfenster boten einen Blick in die drei Meter entfernten Seitenfenster der Nachbarn. Tageslicht konnte nur durch ein Hinterfenster ins Innere dringen. Wie es das Schicksal wollte,
ließ das Fenster das Licht in eine winzige Anrichte.
    Der Junge und sein Vater und seine Mutter hörten das Klopfen der Reporter nicht. Der Fernseher im Wohnzimmer und das Radio in der Küche waren beide an und blökten laut,
während die Familie genau dazwischen, im Eßzimmer, Familienkrach hatte.
    Eigentlich ging es bei dem Krach um alles seit Erschaffung der Welt, aber im Augenblick war der Schnurrbart des

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