Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
Parkplatzwächters mit Kies. Ein Portier bei der Einfahrt bedeutete
dem Drachen, er solle langsamer fahren, und sprang dann um sein Leben.
Kiah munterte ihn leise auf und sagte: »So ist es gut, nur zu, nur zu. Ich liebe dich« und so weiter. Er lenkte und schaltete die Gänge des Synchrongetriebes so, daß das
Auto problemlos immer schneller werden konnte, aber er spürte, daß all dies eigentlich unnötig war, daß das Auto selbst viel besser wußte als er, wohin es fahren und wie
es das tun sollte, wozu es geboren worden war.
Der einzige Marittima-Frascati im Umkreis von Tausenden von Meilen fegte an Personen- und Lastwagen vorbei, als stünden sie still. Die Nadel des Temperaturanzeigers am gepolsterten
Armaturenbrett zitterte bald gegen den Stift am äußersten Ende des roten Bereichs.
»Gutes Mädchen«, sagte Kiah. Manchmal sprach er mit dem Auto, als wäre es ein Mädchen, manchmal, als wäre es ein Junge.
Es überholte den Hampton, der nur ganz knapp schneller als die Geschwindigkeitsbegrenzung fuhr. Der Marittima-Frascati mußte sich heftig verlangsamen, damit er neben dem Hampton her
fahren und Kiah Paul und Marion den Stinkefinger zeigen konnte.
Paul schüttelte den Kopf und winkte Kiah weiter, trat dann auf die Bremse, um weit zurückzufallen. Es würde kein Wettrennen geben.
»Er hat keinen Mumm, Baby«, sagte Kiah. »Komm, wir zeigen der Welt, was Mumm ist.« Er trat das Gaspedal bis zum Fußboden durch. Während verschwommene Flecken
vor ihm auftauchten und verschwanden, ließ er den Fuß, wo er war.
Der Motor kreischte jetzt vor Qual, und Kiah sagte mit beiläufigem Ton: »Explodier, explodier.«
Aber der Motor explodierte nicht und fing nicht Feuer. Die Juwelen, aus denen das wertvolle Geschmeide bestand, verbanden sich einfach miteinander, und der Motor hörte auf, ein Motor zu
sein. Und die Kupplung war auch keine Kupplung mehr. Das erlaubte dem Auto, auf den Seitenstreifen der Autobahn zu rollen, von nichts mehr angetrieben als dem letzten bißchen Schwung, das es
je selbst aufbringen würde.
Der Hampton mit Paul und Marion kam nie vorbei. Die müssen bei einer Ausfahrt weit hinten abgebogen sein, dachte Kiah.
Kiah ließ das Auto da, wo es gestorben war. Er fuhr per Anhalter zurück ins Dorf, ohne dem, der ihn mitgenommen hatte, irgendeine Geschichte erzählen zu
müssen. Er kehrte in Daggetts Ausstellungsraum zurück und tat, als wäre er zum Arbeiten da. Der MG stand immer noch da. Der Mann, der gesagt hatte, er
würde ihn seinem Sohn kaufen, hatte anders entschieden.
»Ich habe dir den ganzen Tag freigegeben«, sagte Daggett.
»Ich weiß«, sagte Kiah.
»Also, wo ist das Auto?«
»Ich habe es umgebracht.«
»Du hast was?«
»Ich habe es auf hundertvierundvierzig hochgebracht, obwohl es hieß, es könne nur hundertfünfunddreißig.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Sie können sich selbst davon überzeugen«, sagte Kiah. »Ein mausetotes Sportfahrzeug. Sie werden den Abschleppwagen schicken müssen.«
»Mein Gott, Junge, weshalb solltest du so was tun wollen?«
»Sagen Sie Kiah zu mir.«
»Kiah«, echote Daggett, überzeugt, es mit einem Wahnsinnigen zu tun zu haben.
»Wer weiß schon, weshalb irgendwer irgendwas tut?« sagte Kiah. »Ich weiß nicht, weshalb ich es umgebracht habe. Ich weiß nur, daß ich froh bin, weil es
tot ist.«
Der arme Dolmetscher
E ines Tages im Jahre 1944, inmitten des Höllenspektakels an der Front, erfuhr ich zu meinem Erstaunen, daß ich zum Dolmetscher für,
wenn’s recht ist, ein ganzes Bataillon ernannt worden war und im Haus eines belgischen Bürgermeisters innerhalb der Artillerie-Reichweite der Siegfried
Line einquartiert werden sollte.
Mir war nie in den Sinn gekommen, daß ich das hatte, was es zum Dolmetschen braucht. Ich qualifizierte mich für den Posten, als wir darauf warteten, aus Frankreich zur Front
vorzurücken. Als Student hatte ich die erste Strophe von Heinrich Heines Lorelei ganz mechanisch von einem Zimmergenossen im College-Wohnheim auswendig gelernt
und gab, während ich in Hörweite des Bataillonskommandanten arbeitete, gerade zufällig und beharrlich jene Zeilen zum besten. Der Oberst (ein Hoteldetektiv aus Mobile, Alabama)
fragte seinen Ersten Offizier (einen Kurzwarenvertreter aus Knoxville, Tennessee), in welcher Sprache der Text sei. Der Erste hielt sich mit einem Urteil zurück, bis ich mich durch Der Gipfel des Be-her-ges funkelt im Abendso-honnenschein gestümpert hatte.
»Ich glaube, das
Weitere Kostenlose Bücher