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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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viele Deutsche umgebracht?« fragte die Fahrerin, indem sie munteren Smalltalk machte. Ich sagte ihr, ich wisse es nicht. Dies ging als
Bescheidenheit durch. Als ich ausstieg, tätschelte mir eine der Damen mütterlich die Schulter: »Ich wette, Sie möchten jetzt gern nach drüben und ein paar von den
dreckigen Japsen killen, stimmt’s?« Wir tauschten wissendes Geblinzel aus. Ich sagte diesen schlichten Seelen nicht, daß ich nach einer Woche an der Front in Gefangenschaft
geraten war, und, um eher zum Thema zu kommen, auch nicht, was ich vom Killen dreckiger Deutscher hielt, vom totalen Krieg. Der Grund für meinen Kummer hat damals wie heute mit einem Vorfall
zu tun, der in den amerikanischen Zeitungen flüchtig gestreift wurde. Im Februar 1945 wurde Dresden zerstört, und mit ihm mehr als hunderttausend Menschenwesen. Ich war da. Nicht
viele wissen, wie hart Amerika geworden war.
    Ich gehörte zu einer Gruppe von hundertfünfzig Infanteriegefreiten, die bei der Ardennenoffensive gefangengenommen und zum Arbeiten nach Dresden geschafft worden waren. Dresden, wurde
uns gesagt, war die einzige größere deutsche Stadt, die bisher nicht bombardiert worden war. Das war im Januar 1945. Dieses Glück hatte es seinem unkriegerischen Erscheinungsbild zu
verdanken: Krankenhäuser, Brauereien, Nahrungsmittelindustrie, Werkstätten für chirurgische Bedarfsartikel, Keramik, Fabriken für Musikinstrumente und dergleichen. Seit dem
Krieg waren die Krankenhäuser das Wichtigste. Jeden Tag kamen von Ost und West Hunderte Verwundeter in die stille Zuflucht. Nachts konnten wir das dumpfe Grollen ferner Luftangriffe
hören. »Heute nacht ist Chemnitz dran«, sagten wir dann und spekulierten, wie es unter den gähnenden Bombenschächten und den brillanten jungen Männern mit ihren
Armaturen und Fadenkreuzen sein mochte. »Dem Himmel sei Dank, daß wir in einer ›offenen Stadt‹ sind«, dachten wir, und das dachten auch die Tausende von
Flüchtlingen – Frauen, Kinder und alte Männer –, die in einem verzweifelten Strom aus den schwelenden Trümmern Berlins, Leipzigs, Breslaus, Münchens
kamen ... Sie überfluteten die Stadt, bis sie zweimal so viele Einwohner hatte wie normal.
    Es fand kein Krieg in Dresden statt. Zwar kamen fast jeden Tag Flugzeuge oben vorbei, und die Sirenen heulten, aber die Flugzeuge waren immer auf dem Weg woandershin. Der Fliegeralarm bot ein
Päuschen an einem öden Arbeitstag, ein gesellschaftliches Ereignis, eine Gelegenheit zum Schwatz in den Luftschutzkellern. Die Luftschutzkeller waren im Grunde nicht viel mehr als eine
Geste, beiläufige Zurkenntnisnahme des nationalen Notstands: Weinkeller und Untergeschosse mit Bänken, und vor den Fenstern waren Sandsäcke, meistens. In der Stadtmitte gab es ein
paar angemessenere Bunker, nahe den Regierungsbüros, aber nichts wie die unerschütterliche unterirdische Festung, die Berlin für sein tägliches Bombardement unempfindlich
machte. Dresden hatte keinen Grund, sich auf einen Angriff vorzubereiten –, und dazu gibt es eine grausige Geschichte.
    Dresden gehörte bestimmt zu den liebreizendsten Städten der Welt. Seine Straßen waren breit, von Schatten spendenden Bäumen gesäumt. Durch die ganze Stadt zogen sich
zahllose kleine Parks, und überall standen Statuen. Sie hatte wunderbare alte Kirchen, Bibliotheken, Museen, Theater, Galerien, Biergärten, einen Zoo und eine bedeutende Universität.
Dresden war einmal ein Paradies für Touristen. Diese wären über die Freuden der Stadt weit besser informiert, als ich es bin. Aber mein Eindruck ist, daß in
Dresden – in der physisch existierenden Stadt – die Symbole des guten Lebens waren; angenehm, ehrlich, intelligent. Im Schatten des Hakenkreuzes standen und warteten diese
Symbole der Würde und Hoffnung des Menschen, Denkmäler der Wahrheit. Als angesammelter Schatz von Hunderten von Jahren sprach Dresden beredt von jenen Dingen, durch die sich die
europäische Kultur auszeichnet, in deren Schuld wir so tief stehen. Ich war ein Gefangener, hungrig, schmutzig, voller Haß auf die, die uns gefangengenommen hatten, aber ich liebte diese
Stadt und sah das gesegnete Wunder ihrer Vergangenheit und das reiche Versprechen ihrer Zukunft.
    Im Februar 1945 reduzierten amerikanische Bomber diesen Schatz zu zerkleinerten Steinen und glühenden Trümmern; weideten sie mit hochexplosivem Sprengstoff aus und versengten sie
mit Brandbomben. Die Atombombe mag einen fabelhaften

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