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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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verloren,
aber es ging etwa so: »An das Volk von Dresden: Wir wurden gezwungen, Eure Stadt wegen des schweren militärischen Verkehrs, den Eure Schienenanlagen trugen, zu bombardieren. Uns ist
klar, daß wir unsere Ziele nicht immer getroffen haben. Die Zerstörung aller anderen als militärischer Ziele ist dem unbeabsichtigten, unabwendbaren Auf und Ab des Krieges
geschuldet.« Dies erklärte das Gemetzel zu jedermanns Befriedigung, bin ich sicher, setzte aber auch die amerikanischen Fliegerbombenzielgeräte keinem geringen Spott aus. Es ist ein
Faktum, daß, achtundvierzig Stunden nachdem die letzte B-17 zu einer wohlverdienten Rast nach Westen abgedröhnt war, Arbeitsbataillone ausgeschwärmt waren und die
zerstörten Gleisanlagen so gut wie repariert hatten. Keine der Eisenbahnbrücken über die Elbe war funktionsunfähig gemacht worden. Die Hersteller von
Fliegerbombenzielgeräten sollten erröten, weil die Bomben drei Meilen von den angeblich angepeilten Zielen runterkamen. Auf dem Flugblatt hätte stehen sollen: »Wir haben jede
einzelne Kirche, jedes Krankenhaus, jede Schule, jedes Museum, jedes Theater, Eure Universität, den Zoo und jedes Wohnhaus der Stadt getroffen, haben uns dabei aber ehrlich nicht angestrengt.
Tut uns sehr leid. C’est la guerre. Außerdem, wißt Ihr, sind Bombenteppiche im Augenblick der ganz große Renner.«
    Es gab die taktischen Erfordernisse: stoppt die Eisenbahnen. Ein exzellentes Manöver, kein Zweifel, aber die Technik war gräßlich. Die Flieger bewarfen die Stadt mit
Höchstleistungssprengstoff und Brandbomben, und das Muster, das ihre Treffer bildeten, wirkte wie ausgependelt. Machen wir Gewinn-Verlust-Rechnung. Über einhunderttausend Zivilisten
getötet und eine prächtige Stadt von Bomben zerstört, die weit von den offiziellen Zielen entfernt niedergingen: Eisenbahnen etwa zwei Tage lang ausgeschaltet. Die Deutschen
zählten den höchsten Verlust an Menschenleben, der je bei einem einzelnen Luftangriff zu beklagen gewesen war. Der Tod Dresdens war eine bittere Tragödie, nutzlos und mutwillig
herbeigeführt. Das Töten von Kindern – von »Kraut«-Kindern oder »Japs«-Kindern oder wen die Zukunft sonst an Feinden für uns
bereithält – kann nie gerechtfertigt werden.
    Die einfache Antwort auf große Ächzer wie den meinen ist das hassenswerteste aller Klischees, einmal das »Auf und Ab des Krieges« und dann: »Sie wollten es nicht
anders. Was anderes als Gewalt verstehen sie nicht.« Wer wollte es nicht anders? Alles, was wer versteht, ist Gewalt? Glauben
Sie mir, es ist nicht leicht, die Zerstörung eines Weinbergs, auf dem die Früchte des Zorns reifen, zu rechtfertigen, wenn man waschkörbeweise Babys aufsammelt oder einem Mann da
beim Graben hilft, wo er seine Frau verscharrt glaubt. Natürlich hätten feindliche Militär- und Industrieanlagen plattgemacht werden sollen, und wehe denen, die närrisch genug
waren, in ihrer Nähe Unterschlupf zu suchen. Aber die »Amerika, werde hart«-Politik, der Geist der Rache , die Billigung aller Zerstörung und
Vernichtung, hat uns einen Ruf für obszöne Brutalität erworben und die Welt um die Möglichkeit gebracht, daß Deutschland bereits vor einer entfernten Zukunft eine
friedliche und intellektuell fruchtbare Nation wird.
    Unsere Führer hatten freie Hand, was sie zerstören wollten und was nicht. Ihr Auftrag lautete, den Krieg so schnell wie möglich zu gewinnen, und während sie bewundernswert
dazu ausgebildet waren, genau das zu schaffen, waren ihre Entscheidungen, was das Geschick einiger unbezahlbarer Kostbarkeiten aus dem Welterbe betrifft – in diesem Falle
Dresden –, nicht immer klug und umsichtig. Als, bereits gegen Ende des Krieges, unsere Flugzeuge ausgeschickt wurden, um diese letzte größere Stadt zu zerstören,
bezweifle ich, daß die Frage »Wie wird diese Tragödie uns nützen, und wie wird sich dieser Nutzen auf lange Sicht ausmachen, wenn man ihn mit dem angerichteten Schaden
vergleicht?« gestellt wurde. Dresden, eine wunderschöne Stadt, erbaut im Geiste der Kunst, Symbol eines bewundernswerten Erbes, so antinazistisch eingestellt, daß Hitler sie
während seiner gesamten Herrschaft nur zweimal besuchte, Lebensmittel-, Krankenhauszentrum, das jetzt so schmerzlich vermißt wurde –, untergepflügt. Und Salz in die
Furchen gestreut.
    Es kann keinen Zweifel geben, daß die Alliierten auf seiten von Richtig kämpften und Deutsche und Japaner auf seiten von Falsch.

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