Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
jeden die
Einkommenssteuer. Unsere Stadt ist North Crawford, New Hampshire. Herb ist nie aufs College gegangen, wo er bestimmt gut abgeschnitten hätte. Buchführung und Steuererklärungen hat er
per Fernkurs gelernt. Herb hat in Korea gekämpft und ist als Held heimgekehrt. Und er hat Sheila Hinckley geheiratet, eine sehr hübsche, intelligente Frau, die praktisch alle Männer
in meiner speziellen Altersgruppe zu heiraten gehofft hatten. Meine spezielle Altersgruppe ist heutzutage dreiunddreißig, vierunddreißig und fünfunddreißig Jahre alt.
An dem Tag, als Sheila heiratete, waren wir einundzwanzig, zweiundzwanzig und dreiundzwanzig Jahre alt. In Sheilas Hochzeitsnacht gingen wir alle ins North Crawford Manor und tranken. Ein armer
Typ kletterte auf den Tresen und sprach ungefähr wie folgt:
»Meine Herren, Freunde, Brüder, ich bin sicher, daß wir den Frischvermählten nichts als Glück wünschen. Aber gleichzeitig muß ich sagen, daß der
Schmerz in unseren Herzen nie sterben wird. Und ich schlage vor, daß wir eine dauerhafte Brüderschaft ewig Leidender gründen, um einander in jeder nur möglichen Weise
beizustehen, obwohl Gott weiß, daß es nur sehr wenig gibt, was wer auch immer gegen einen Schmerz wie den unseren unternehmen kann.«
Die Menge fand das eine prima Idee.
Hay Boyden, der später Umzugsspediteur und Abbruchunternehmer wurde, sagte, wir sollten uns die
Brüderschaft-von-Menschen-die-zu-blöd-für-die-Einsichtwaren-daß-Sheila-Hinckley-tatsächlich-Hausfrau-werdenwollen-könnte nennen. Er hatte etwas besoffene,
komplizierte Gründe für diesen Vorschlag. Sie war das klügste Mädchen in der Highschool gewesen, und an der Universität von Vermont schlug sie ebenfalls ein wie eine Bombe.
Wir hatten alle angenommen, daß es vor ihrem College-Abschluß keinen Sinn hatte, ihr ernsthaft den Hof zu machen.
Und dann, mitten im vorletzten Studienjahr, hatte sie aufgehört und Herb geheiratet.
»Bruder Boyden«, sagte der Betrunkene auf dem Tresen, »ich halte das für einen Spitzenvorschlag. Aber in aller Demut beantrage ich einen anderen Namen für unsere
Organisation, einen Namen, der in keiner Weise an den von dir beantragten heranreicht –, außer daß er etwa zehntausendmal leichter auszusprechen ist. Meine Herren, Freunde,
Brüder, ich schlage vor, daß wir uns ›Anonyme Liebhaber‹ nennen.«
Der Antrag wurde angenommen. Der Betrunkene auf dem Tresen war ich.
Und wie so vieles Verrückte in altmodischen Kleinstädten lebten die Anonymen Liebhaber immer und immer weiter. Wenn ein paar von uns aus der alten Bande zufällig zusammenkommen,
sagt einer ganz bestimmt: »Ich darf die Sehr Ehrenwerten Mitglieder der Anonymen Liebhaber herzlich bitten, sich an die Tagesordnung zu halten.« Und in der Stadt wird immer noch der
Standardscherz gemacht, wenn jemand Liebeskummer hat, er möge sich bitte an die AL wenden. Verstehen Sie mich nicht falsch. Keiner bei den AL verzehrt sich noch nach Sheila. Wir haben alle
mehr oder weniger unsere eigenen Sheilas. Wir denken, vermute ich, hauptsächlich wegen der verrückten AL häufiger an Sheila als an einige unserer anderen alten Mädels. Aber wie
Will Battola, der Klempner, einst sagte: »Sheila Hinckley ist jetzt nur noch ein Ersatzreifen – aber Weißwand! – am Thunderbird meiner Träume.«
Dann servierte mir vor etwa einem Monat meine brave Frau zusammen mit dem Verdauungskaffee und den Makrönchen eine erbärmliche kleine Information. Sie sagte, Herb und Sheila
sprächen nicht mehr miteinander.
»Wozu verbreitest du solch ein Gewäsch?« sagte ich.
»Ich dachte, es wäre meine Pflicht, es dir zu sagen«, sagte sie, »da du der Oberliebhaber der Anonymen Liebhaber bist.«
»Ich war lediglich bei der Gründung anwesend«, sagte ich, »und wie du sehr wohl weißt, ist das viele, viele Jahre her.«
»Nun, ich glaube, ihr könnt mit der Auflösung der Bruderschaft beginnen.«
»Sieh mal«, sagte ich, »es gibt nicht viele Gesetze des Lebens, die durch die Zeitläufte hindurch Bestand haben, aber dies ist eins der wenigen: Menschen, die eine
Scheidung erwägen, kaufen sich keine kombinierten Sturm- und Fliegenfenster aus Aluminium für ein Fünfzehn-Zimmer-Haus.« Damit handle ich nämlich: mit kombinierten Sturm-
und Fliegenfenstern – sowie hie und da einer Badewannenverkleidung – aus Aluminium. Und es war Tatsache, daß Herb erst vor kurzem für die
Fünfzehn-Zimmer-Arche, die er sein Zuhause nannte,
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