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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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auf diesen Schrofel? Sie glauben, das ist meine Vorstellung davon, wie das Leben wirklich
aussieht?«
    »Was ist denn Ihre Vorstellung davon, wie das Leben wirklich aussieht?«
    Der Maler wedelte in Richtung einer der besudelten Papierbahnen, die auf dem Fußboden ausgebreitet lagen. »Da ist das Leben gut getroffen«, sagte er. »Lassen Sie’s
rahmen, und Sie haben ein Bild, das ein ganzes Ende ehrlicher ist als dieses hier.«
    »Sie sind ein miesepetriger alter Erpel, stimmt’s?« sagte der Pfleger.
    »Ist das ein Verbrechen?« sagte der Maler.
    »Wenn es Ihnen hier nicht gefällt, Opa ...« Der Pfleger führte den Gedanken mit der leicht zu merkenden Telefonnummer zu Ende, die Menschen anrufen sollten, die nicht
mehr leben wollten. Die Null in der Telefonnummer sprach er »naught« aus, nichts .
    Die Nummer lautete 2BR02B: Two B R Naught Two B. To be or naught to be. To be or not to be. Sein oder Nichtsein.
    Es war die Telefonnummer einer Einrichtung, die unter anderen folgende phantasievolle Spitznamen hatte: »Automat«, »Birdland«, »Konservenfabrik«,
»Katzenklo«, »Entlausung«, »Abschiedsmaschine«, »Tschüs, Mutti«, »Laßdie-Luft-raus«, »Der Schnelle Kuß«,
»Zusatzzahl Zwölf«, »Desinfektionsbad«, »Wer wird denn weinen?« und »Sparverein Sorgenfrei«.
    »Sein oder Nichtsein« war die Telefonnummer der Städtischen Gaskammern der Bundesanstalt für Abbruch.
    Der Maler machte dem Pfleger eine lange Nase. »Wenn ich entscheide, daß die Zeit gekommen ist«, sagte er, »dann wird das nicht im Desinfektionsbad geschehen.«
    »Selbst ist der Mann, was?« sagte der Pfleger. »Sauerei, Opa. Warum denken Sie nicht auch ein bißchen an die Leute, die hinter Ihnen saubermachen müssen?«
    Der Maler drückte seinen Mangel an Sorge um die Kümmernisse seiner Hinterbliebenen mit einem unflätigen Scheltwort aus. »Ein bißchen mehr Sauerei würde der Welt
gar nicht schaden, wenn Sie mich fragen«, sagte er.
    Der Pfleger lachte und machte, daß er weiterkam.
    Wehling, der werdende Vater, grummelte etwas, ohne den Kopf zu heben. Dann schwieg er wieder.
    Eine derbe, furchterregende Frau schritt auf Pfennigabsätzen in den Warteraum. Sie trug Schuhe, Strümpfe, Trenchcoat, Tragetasche und Uniformschiffchen in Lila, einem Lila, welches der
Maler »die Farbe der Früchte des Zorns am Tage des Jüngsten Gerichts« nannte.
    Die Medaille auf ihrer lila Umhängetasche war das Emblem der Service-Abteilung der Bundesabbruchanstalt, ein Adler, der auf einem Drehkreuz kauerte.
    Die Frau hatte starke Gesichtsbehaarung –, sogar einen unverkennbaren Schnurrbart. Eine Absonderlichkeit bei den Gaskammer-Hostessen war, daß allen, egal, wie niedlich und
feminin sie bei ihrer Rekrutierung gewesen sein mochten, innerhalb von etwa fünf Jahren ein Schnurrbart wuchs.
    »Ist das hier, wo ich hinkommen sollte?« fragte sie den Maler.
    »Käme ziemlich darauf an, was Sie vorhaben«, sagte der Maler. »Sie stehen nicht im Begriff niederzukommen, oder?«
    »Mir wurde gesagt, ich sollte für irgendein Bild Modell stehen«, sagte sie. »Ich heiße Leora Duncan.« Sie wartete.
    »Und Sie bringen Menschen um die Ecke?« sagte er.
    »Was?« sagte sie.
    »Egal«, sagte er.
    »Das ist ja wirklich mal ein schönes Bild«, sagte sie. »Sieht genau aus wie im Himmel oder wo.«
    »Oder wo«, sagte der Maler. Er zog eine Namensliste aus seiner Kitteltasche. »Duncan, Duncan, Duncan«, sagte er, indem er die Liste überflog. »Ja –,
da sind Sie. Sie haben ein Anrecht auf Verewigung. Sehen Sie hier irgendeinen gesichtslosen Körper, auf den Sie Ihren Kopf stecken möchten? Wir haben noch ein paar ausgesucht schöne
Stücke übrig.«
    Sie studierte das Wandgemälde. »Mensch«, sagte sie, »für mich sehen sie alle gleich aus. Ich verstehe überhaupt nichts von Kunst.«
    »Ein Körper ist ein Körper, stimmt’s?« sagte er. »Als Meister der schönen Künste empfehle ich diesen Körper hier.« Er zeigte auf die
gesichtslose Gestalt einer Frau, die vertrocknete Strünke zu einem Müllverbrenner trug.
    »Tja«, sagte Leora Duncan, »das sind eher die Entsorgungskollegen, oder? Ich meine, ich bin beim Service. Ich entsorge nicht.«
    Der Maler klatschte mit gespielter Freude in die Hände. »Sie sagen, Sie verstehen nichts von Kunst, und im nächsten Atemzug beweisen Sie, daß Sie mehr von Kunst verstehen
als ich! Natürlich ist die Garbenträgerin nicht das richtige für eine Hostess! Eine Stutzerin, eine Schnitterin –, das

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