Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
Vom Netzwerk:
vorhersagen, was er oder sie später im Leben beruflich machen würde. Sheila gab an, sie würde einen neuen Planeten entdecken oder die erste Richterin am Obersten Gerichtshof
werden oder eine Firma für die Herstellung von Feuerwehrautos leiten.
    Das war natürlich nur Spaß, aber alle – Sheila eingeschlossen, nehme ich an – meinten, daß sie alles konnte, woran sie ihr Herz hängte.
    Bei ihrer Hochzeit mit Herb habe ich sie, das weiß ich noch, gefragt: »Und was wird jetzt aus den Herstellern von Feuerwehrautos?«
    Und sie lachte und sagte: »Die werden ohne mich vor sich hin kümmern müssen. Ich werde einen Job ergreifen, der tausendmal so wichtig ist –, einen guten Mann gesund
und glücklich halten und seine Jungen aufziehen.«
    »Was wird aus dem Stuhl, den sie dir beim Obersten Gericht freigehalten haben?«
    »Für mich ist der beste Stuhl ein behaglicher Küchenstuhl, mit Kindern, die mir um die Füße wuseln.«
    »Soll eine andere für dich diesen Planeten entdecken, Sheila?«
    »Planeten sind Steine, tot wie ein Stein«, sagte sie. »Was ich entdecken möchte, sind mein Mann, meine Kinder und – durch sie – mich. Soll eine
andere nach Kräften was von Steinen lernen.«
    Als Sheila den Drugstore verlassen hatte, ging ich zur Leihbücherei, um zu erfahren, was das für ein rotes Buch gewesen war. Es war von der Präsidentin irgendeines Frauen-College
geschrieben. Der Titel lautete Frauen, das vergeudete Geschlecht oder: Der Schwindel mit der Hausfrau .
    Ich sah in das Buch und bemerkte, daß es in diesen fünf Teilen abgefaßt war:
    I  
5   000   000 v. Chr. – 1865: das unfreiwillige Sklavengeschlecht
II  
1866–1919: das Sklavengeschlecht wird auf Sockel gestellt
III  
1920–1945: Scheingleichheit. Vom Augenaufschlag zur Kettensäge
IV  
1946–1963: Freiwilliges Sklavengeschlecht. Vom Windeleimer zum Sputnik
V  
Explosion und Utopie
    Reva Owley, die Frau, die Kosmetika verkauft und die Leihbücherei leitet, kam heran und fragte, ob sie mir helfen könne.
    »Das können Sie bestimmt«, sagte ich. »Sie können dies Stück Unrat in die nächste Kloake schmeißen.«
    »Es ist ein sehr beliebtes Buch«, sagte sie.
    »Das mag sein«, sagte ich. »Bei den Rothäuten waren Whiskey und Repetierwaffen auch sehr beliebt. Und wenn dieser Drugstore wirklich Geld verdienen will, sollten Sie
vielleicht auch einen Haschisch-und-Heroin-Ladentisch für die Zielgruppe unter zwanzig einrichten.«
    »Haben Sie es gelesen?« fragte sie.
    »Ich habe das Inhaltsverzeichnis gelesen«, sagte ich.
    »Immerhin haben Sie ein Buch aufgeschlagen «, sagte sie. »Das hat kein anderes Mitglied der Anonymen Liebhaber in den letzten zehn Jahren
getan.«
    »Ich lese sogar sehr viel«, sagte ich.
    »Ich wußte gar nicht, daß soviel über Sturmfenster geschrieben wurde.« Reva ist eine sehr schlaue Witwe.
    »Sie können ein ziemlich schnippisches Frauenzimmer sein, gelegentlich«, sagte ich.
    »Das kommt daher, daß man Bücher über den Schlamassel liest, den Männer aus der Welt gemacht haben«, sagte sie.
    Das Ergebnis war, daß ich das Buch las.
    Das war vielleicht ein Buch! Ich brauchte anderthalb Wochen, bis ich es durchhatte, und je mehr ich las, desto stärker hatte ich das Gefühl, eine lange Unterhose aus Sackleinen
anzuhaben.
    Herb White kam in meine Ausstellungsräume und erwischte mich bei der Lektüre. »Bildest dich weiter, wie ich sehe«, sagte er.
    »Wenn sich bei mir etwas weiterbilden sollte«, sagte ich, »weiß ich nicht, wo. Du hast das Buch gelesen?«
    »Ich hatte das Vergnügen und den Vorzug«, sagte er. »Wie weit bist du?«
    »Ich habe gerade die schlimmsten fünf Millionen Jahre meines Lebens hinter mir«, sagte ich. »Und am Schluß hat irgendein Mann mitgekriegt, daß es für die
Frauen vielleicht doch nicht so gut aussieht, wie es könnte.«
    »Theodore Parker?« sagte Herb.
    »Richtig«, sagte ich. Theodore Parker war etwa zur Zeit des Bürgerkriegs Prediger in Boston gewesen.
    »Lies, was er sagt«, sagte Herb.
    Also las ich laut vor: »›Die häusliche Funktion des Weibes erschöpft seine Kräfte nicht. Wenn man eine Hälfte der menschlichen Rasse dazu zwingt, ihre Energien
in den Funktionen der Hausbesorgerin, Gattin und Mutter zu verbrauchen, ist das eine monströse Verschwendung des kostbarsten Materials, so Gott je erschaffen.‹«
    Herb hatte die Augen geschlossen, als ich las. Er ließ sie zu. »Ist dir klar, wie hart mich diese Worte getroffen haben –, bei

Weitere Kostenlose Bücher