Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
siebenunddreißig Fleetwood-Fenster, unsere absoluten Sonderklassefenster, gekauft hatte.
»Familien, die nicht einmal zusammen essen, bleiben auch nicht sehr lange zusammen«, sagte sie.
»Was weißt du denn schon über deren Eßgewohnheiten?« wollte ich wissen.
»Nichts, was ich nicht zufällig herausgefunden hätte«, sagte sie. »Gestern habe ich Geld für die Herz-Stiftung gesammelt.« Gestern war Sonntag.
»Zufällig kam ich hin, als es gerade Sonntagsbraten gab, und da saßen die Mädchen und Sheila am Eßtisch und aßen –, aber kein Herb.«
»Er war wahrscheinlich irgendwo in Geschäften unterwegs«, sagte ich.
»Das habe ich mir auch gesagt«, sagte sie. »Aber dann auf dem Weg zum nächsten Haus mußte ich an ihrem alten Anbau vorbei –, wo sie ihr Kaminholz und die
Gartengeräte aufbewahren.«
»Fahre fort.«
»Und da drin saß Herb auf einer Kiste und aß sein Mittagessen von einer größeren Kiste. Ich habe noch niemanden gesehen, der so traurig aussah.«
Am nächsten Tag kam Kennard Pelk, ein angesehenes AL-Mitglied und unser Polizeichef, in meine Ausstellungsräume, um sich über ein kostengünstiges Sturmoder äußeres
Doppelfenster zu beschweren, das er bei einer Firma gekauft hatte, die inzwischen pleite gegangen war. »Die Fensterscheibe steht oben über, das Fliegenfenster ist verrostet«, sagte
er, »und das Aluminium ist mit etwas bedeckt, was aussieht wie blauer Zucker.«
»Das ist eine Schande«, sagte ich.
»Der Grund dafür, daß ich mich an dich wende, ist der, daß ich nicht weiß, wer sonst Wartungs- und Reparaturarbeiten verrichtet.«
»Könntest du mit deinen Verbindungen«, sagte ich, »nicht herausfinden, in welcher Strafanstalt die Hersteller sitzen?«
Ich ließ mich schließlich dazu herbei, mal hinzufahren und mein möglichstes zu tun, aber nur, wenn er einsah, daß ich nicht die gesamte Branche repräsentierte.
»Die einzigen Fenster, hinter denen ich stehe«, sagte ich, »sind die, die ich verkaufe.«
Und dann erzählte er mir, was er in der Nacht zuvor in Herb Whites vergammeltem alten Anbau Schrulliges gesehen hatte. Kennard war gegen zwei Uhr morgens mit dem Polizeiauto auf dem
Nachhauseweg gewesen. Was er in Herb Whites Anbau gesehen hatte, war eine Kerze.
»Ich meine, das alte Haus hat fünfzehn Zimmer, den Anbau nicht mitgezählt«, sagte Kennard, »für eine vierköpfige Familie –, fünfköpfig,
den Hund mitgezählt. Und ich konnte nicht verstehen, was jemand, besonders zu so nachtschlafener Zeit, in dem Anbau zu suchen hatte. Ich dachte, vielleicht ist es ein Einbrecher.«
»Das einzige, was sich in dem Haus zu stehlen lohnt, sind die Fleetwood-Fenster.«
»Auf jeden Fall war es meine Pflicht, das zu ermitteln«, sagte Kennard. »Also schlich ich zu einem Fenster und blickte hinein. Und da lag Herb auf einer Matratze auf dem
Fußboden. Neben ihm stand eine Flasche Schnaps nebst Glas, in einer anderen Flasche steckte eine Kerze, und er las eine Zeitschrift bei Kerzenschein.«
»Das war erstklassige Polizeiarbeit«, sagte ich.
»Er sah mich draußen am Fenster, und ich kam näher, damit er sehen konnte, wer ich war. Das Fenster war offen, deshalb habe ich zu ihm gesagt: ›Hallo –, ich
wollte nur wissen, wer hier draußen ist‹, und er sagte: ›Robinson Crusoe.‹«
»Robinson Crusoe?« sagte ich.
»Ja. Er war sehr sarkastisch zu mir«, sagte Kennard. »Er hat mich gefragt, ob ich die übrigen Anonymen Liebhaber auch alle mitgebracht hätte. Ich habe nein gesagt.
Und dann hat er mich gefragt, ob das Prinzip ›My Home is my Castle‹ auch für die Polizei gilt oder ob sich da in letzter Zeit was geändert hat.«
»Und was hast du da gesagt, Kennard?«
»Was sollte ich da sagen? Ich habe meine Dienstwaffe versorgt und bin nach Hause gefahren.«
Herb White selbst kam in meine Ausstellungsräume, als Kennard gerade gegangen war. Herb hatte das gesunde, glückliche, aufgeregte Aussehen, das Menschen manchmal bei doppelseitiger
Lungenentzündung an den Tag legen. »Ich möchte drei weitere Fleetwood-Fenster kaufen«, sagte er.
»Das Fleetwood ist gewiß ein Erzeugnis, für das sich jedermann begeistern kann«, sagte ich, »aber ich glaube, jetzt verläßt du die Grenzen der Vernunft.
Du hast doch schon überall Fleetwoods,«
»Ich will sie für den Anbau«, sagte er.
»Geht es dir gut, Herb?« fragte ich. »In der Hälfte der Zimmer, die wir bereits sturmfest gemacht haben, stehen nicht mal Möbel. Außerdem siehst du aus, als
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