Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
entspricht Ihnen doch weit mehr.« Er deutete
auf eine Gestalt in Lila, die einen toten Ast von einem Apfelbaum absägte. »Und die?« sagte er. »Könnten Sie sich mit ihr anfreunden?«
»Mann ...«, sagte sie und errötete und wurde bescheiden. »Da ... Da bin ich ja direkt neben Dr. Hitz.«
»Das bestürzt Sie?« sagte er.
»Ganz im Gegenteil!« sagte sie. »Es ist nur ... Es ist nur eine solche Ehre.«
»Ah, Sie bewundern ihn, ja?« sagte er.
»Wer bewundert ihn nicht?« sagte sie, in Anbetung des Porträts von Dr. Hitz. Es war das Porträt eines sonnengebräunten, weißhaarigen, omnipotenten Zeus,
zweihundertvierzig Jahre alt. »Wer bewundert ihn nicht?« sagte sie wieder. »Er war für die Eröffnung der ersten Gaskammer in Chicago verantwortlich.«
»Nichts wäre mir angenehmer«, sagte der Maler, »als Sie für alle Zeiten neben ihn zu stellen. Ein Glied absägen –, das überzeugt Sie, das finden
Sie angemessen?«
»Das ist sozusagen gewissermaßen das, was ich mache«, sagte sie. Sie war spröde, was ihre Tätigkeit betraf. Was sie machte, war, daß sie Menschen nett umsorgte,
während sie sie umbrachte.
Und während Leora Duncan für ihr Porträt Modell stand, kam Dr. Hitz persönlich in den Warteraum gehoppelt. Er war zwei Meter zehn groß, und er vibrierte schier vor
Wichtigkeit, Leistungsfähigkeit und Lebensfreude.
»Aber, Miss Duncan! Miss Duncan!« sagte er und scherzte dann: »Was machen Sie denn hier? Hier ist doch nicht ›Abflug‹, hier ist
›Ankunft‹!«
»Wir werden zusammen auf demselben Bild sein«, sagte sie scheu.
»Gut!« sagte Dr. Hitz. »Und ist das etwa kein famoses Bild?«
»Es ist mir eine große Ehre, mit Ihnen drauf zu sein«, sagte sie.
»Ich darf Ihnen sagen, daß es mir eine Ehre ist, mit Ihnen zusammen«, und es folgte ein weiterer Scherz, »im Bilde zu sein. Ohne Frauen wie Sie wäre diese wunderbare
Welt, wie wir sie haben, gar nicht möglich.«
Er salutierte und ging zur Tür, hinter der die Kreißsäle lagen. »Raten Sie mal, was gerade geboren wurde«, sagte er.
»Kann ich nicht«, sagte sie.
»Drillinge!« sagte er.
»Drillinge!« sagte sie. Ihr Aufschrei galt den juristischen Auswirkungen von Drillingen.
Das Gesetz befahl, daß kein neugeborenes Kind überleben konnte, wenn die Eltern des Kindes niemanden fanden, der freiwillig starb. Drillinge erforderten, wenn sie alle leben sollten,
drei Freiwillige.
»Haben die Eltern drei Freiwillige?« sagte Leora Duncan.
»Als letztes habe ich gehört«, sagte Dr. Hitz, »daß sie einen haben und versuchen, zwei weitere aufzutreiben.«
»Ich glaube nicht, daß sie es geschafft haben«, sagte sie. »Niemand hat bei uns drei Termine gebucht. Heute sind bei uns ausschließlich Einzelpersonen
durchgelaufen, außer es hat noch jemand vorbeigeschaut, als ich schon weg war. Wie heißen sie denn?«
»Wehling«, sagte der wartende Vater und setzte sich auf, rotäugig und verschlampt. »Edward K. Wehling jun. lautet der volle Name des glücklichen werdenden
Vaters.«
Er hob die rechte Hand, sah auf einen Fleck an der Wand und lachte heiser und erbärmlich in sich hinein. »Anwesend«, sagte er.
»Ach, Mr. Wehling«, sagte Dr. Hitz, »ich habe Sie gar nicht gesehen.«
»Der unsichtbare Mann«, sagte Wehling.
»Gerade wurde ich angerufen. Ihre Drillinge sind geboren«, sagte Dr. Hitz. »Allen geht es gut, und die Mutter ist ebenfalls wohlauf. Gleich werde ich sie mir
ansehen.«
»Hurra«, sagte Wehling hohl.
»Sie klingen nicht sehr glücklich«, sagte Dr. Hitz.
»Welcher Mann in meiner Lage wäre nicht glücklich?« sagte Wehling. Er fuchtelte mit den Händen, um sorglose Einfalt anzudeuten. »Ich brauche doch nur
auszusuchen, welcher Drilling am Leben bleiben darf, meinen Großvater mütterlicherseits im Sparverein abzuliefern und dann mit einer Quittung hierher zurückzukommen.«
Nun mußte Dr. Hitz ein ernstes Wort mit Wehling sprechen und tat dies, indem er hoch über ihm aufragte. »Sie glauben nicht an Bevölkerungskontrolle, Mr. Wehling?«
sagte er.
»Ich finde sie ganz toll«, sagte Wehling.
»Wäre Ihnen die gute, alte Zeit lieber, als zwanzig Milliarden Menschen die Erde bevölkerten –, die kurz davor standen, vierzig Milliarden zu werden, und dann achtzig
Milliarden und dann hundertsechzig Milliarden? Wissen Sie, was eine Drupelle ist, Mr. Wehling?«
»Nö«, sagte Wehling muffig.
»Eine Drupelle, Mr. Wehling, ist einer dieser kleinen Bommel, eins dieser kleinen Körner
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