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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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nicht einfach durchgedreht –
oder abgehauen?«
    »Die Leute sind komisch«, sagte ich.
    »Finde ich manchmal aber gar nicht«, sagte Earl.
    Eine weitere große Granate ging los, dann zwei kleine – richtig schnell.
    »Hast du die Sammlung dieser russischen Kompanie gesehen?« sagte Earl.
    »Hab’ davon gehört«, sagte ich.
    »Die haben fast hundert Schädel«, sagte Earl. »Nebeneinander auf einem Regal wie Honigmelonen.«
    »Irre«, sagte ich.
    »Ja, wie kann man nur Schädel sammeln«, sagte Earl. »Aber es läßt sich kaum ver mei den, daß sie sie sammeln. Ich meine, sie
können kaum in irgendeine Richtung graben und keine Schädel und alles finden. Da drüben muß irgendwas Großes passiert sein.«
    »Hier ist überall was Großes passiert«, sagte ich ihm. »Hier ist ein sehr berühmtes Schlachtfeld aus dem Weltkrieg. Hier haben die Amerikaner die Deutschen
vernichtend geschlagen. Hat mir Poritsky gesagt.«
    »Zwei der Schädel sind mit Schrapnell drin«, sagte Earl. »Hast du die gesehen?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Wenn man sie schüttelt, kann man innen das Schrapnell klötern hören«, sagte Earl. »Man kann die Löcher sehen, wo das Schrapnell reingegangen
ist.«
    »Weißt du, was man mit den armen Schädeln machen sollte?« fragte ich ihn. »Man sollte einen ganzen Schwung Feldgeistliche kommen lassen, von jeder Religion, die es
gibt. Dann sollte man den armen Schädeln eine anständige Beerdigung spendieren und sie irgendwo vergraben, wo sie end gültig in Ruhe gelassen
werden.«
    »Es ist, als wären sie gar keine Menschen mehr«, sagte Earl.
    »Es ist, als wären sie nie Menschen ge wesen «, sagte ich. »Sie haben ihr Leben aufgegeben, damit unsere Väter und unsere
Großväter und unsere Urgroßväter leben konnten. Das mindeste, was wir tun können, ist, daß wir ihre armen Knochen anständig behandeln.«
    »Ja, aber haben nicht einige von denen versucht, unsere Ururgroßväter oder wen um zubringen?« sagte Earl.
    »Die Deutschen dachten , sie tun was Gutes«, sagte ich. »Alle dachten , sie tun was Gutes. Sie hatten das Herz auf
dem rechten Fleck«, sagte ich. »Entscheidend ist, was man ge dacht hat.«
    Der Leinenvorhang oben am Tunnel ging auf, und Hauptmann Poritsky kam von draußen herunter. Er ließ sich Zeit, als wäre da draußen nichts Schlimmeres als ein warmer
Nieselregen.
    »Ist es nicht gefährlich, da hinauszugehen, Sir?« fragte ich ihn. Er mußte da ja gar nicht hin. Überall führten Tunnel von
überall nach überall, und niemand brauchte nach draußen zu gehen, während das Sperrfeuer lief.
    »Ist es nicht ein ziemlich gefährlicher Beruf, den wir uns da mit unserem eigenen freien Willen ausgesucht haben, Soldat?« fragte er mich. Er hielt mir seinen Handrücken
unter die Nase, und ich sah eine lange Schnittwunde einmal quer drüber. »Schrapnell!« sagte er. Er grinste, und dann steckte er sich die Schnittwunde in den Mund und lutschte
daran.
    Dann, nachdem er genug Blut getrunken hatte, daß er es wieder ein bißchen aushielt, sah er mich und Earl genauer an. »Soldat«, sagte er zu mir, »wo ist Ihr
Bajonett?«
    Ich griff nach meinem Gürtel. Ich hatte mein Bajonett vergessen.
    »Soldat, was wäre, wenn ganz plötzlich der Feind kommt?« Poritsky hatte einen Tanz hingelegt, als wollte er im Mai Nüsse sammeln. »›Tut mir leid,
Jungs –, Augenblick, ich geh’ schnell mein Bajonett holen.‹ Würden Sie das sagen, Soldat?« fragte er mich.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Wenn es hart auf hart kommt, ist das Bajonett der beste Freund des Soldaten«, sagte Poritsky. »Dann ist ein Berufssoldat am glücklichsten, weil er dann nämlich dem
Feind am nächsten kommt. Etwa nicht?«
    »Doch, Sir«, sagte ich.
    »Sammeln Sie Schädel, Soldat?« sagte Poritsky.
    »Nein, Sir«, sagte ich.
    »Würde Ihnen nichts schaden, eine kleine Sammlung anzulegen«, sagte Poritsky.
    »Nein, Sir«, sagte ich.
    »Es gibt einen Grund, weshalb jeder einzelne von denen gestorben ist, Soldat«, sagte Poritsky. »Sie waren keine guten Soldaten! Sie waren keine Profis! Sie haben Fehler
gemacht! Sie haben ihre Lektionen nicht gut genug gelernt!«
    »Wahrscheinlich nicht, Sir«, sagte ich.
    »Vielleicht finden Sie Manöver zu hart, Soldat, aber sie sind längst nicht hart genug«, sagte Poritsky. »Wenn ich hier den Oberbefehl hätte, wären alle da
draußen im Stahlgewitter. Eine professionelle Truppe kriegt man nur, wenn sie beblutet wird.«
    »Beblutet, Sir?« sagte ich.
    »Ein paar

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