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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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versuchen uns also zu sagen –, daß wir alle für den Tod der Familie des Majors Buße tun? Glaubt er denn, wir hätten gewollt, daß sie umgebracht
wird?« sagte ich.
    Er stützte sich auf die Werkbank und schloß die Augen. »Ach, verdammt, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht. Ich dachte, es würde Ihnen helfen, ihn zu
verstehen –, ihn nicht zu hassen. Nichts scheint jedoch einen Sinn zu ergeben –, nichts scheint zu helfen.«
    »Dachten Sie, Sie könnten helfen, Herr Hauptmann?« sagte Marta.
    »Bevor ich hierherkam –, ja, da habe ich das gedacht. Jetzt weiß ich, daß ich nicht gebraucht werde, und ich weiß nicht, was gebraucht wird. Ich sympathisiere
mit jedem, verdammtnochmal, und verstehe, warum jeder so ist, wie er ist –, Sie beide, alle Menschen in der Stadt, der Major, die gemeinen Soldaten. Vielleicht, wenn ich mal angeschossen
worden wäre oder mit einem Flammenwerfer angesengelt würde, dann wäre ich vielleicht, vielleicht Manns genug.«
    »Und würden alle hassen«, sagte Marta.
    »Ja –, und wäre deshalb so selbstsicher, wie alle anderen zu sein scheinen.«
    »Nicht selbstsicher –, abgestumpft «, sagte ich.
    »Abgestumpft«, wiederholte er, »jeder hat Gründe, abgestumpft zu sein.«
    »Das ist die letzte Verteidigung«, sagte Marta. »Abstumpfung oder Selbstmord.«
    »Marta!« sagte ich.
    »Du weißt, daß es stimmt«, sagte sie knapp. »Wenn an europäischen Straßenecken Gaskammern aufgestellt würden, wären davor längere
Schlangen als vor Bäckereien. Wann hört all der Haß auf? Nie.«
    »Marta, um der Liebe des Himmels willen, ich möchte nicht, daß du so sprichst«, sagte ich.
    »Major Evans spricht auch so«, sagte Hauptmann Donnini. »Aber er sagt, er will weiterkämpfen. Ein- oder zweimal, als er besoffen war, hat er gesagt, er wäre gern
getötet worden –, es gäbe nichts, wohin er nach Hause könne. Er ist im Kampf phantastische Risiken eingegangen und hat nie einen Kratzer abgekriegt.«
    »Armer Mann«, sagte Marta. »Kein Krieg mehr.«
    »Na, es gibt immer noch Guerilla-Aktivitäten –, besonders um Leningrad herum. Er hat seine Versetzung dorthin beantragt, damit er noch was abkriegt.« Er sah zu Boden
und breitete die Finger über seinen Knien aus. »Aber egal. Eigentlich bin ich hergekommen, um Ihnen zu sagen, daß der Major morgen seinen Schreibtisch haben will.«
    Die Tür sprang auf, und der Major schritt in die Werkstatt. »Hauptmann, wo zum Teufel haben Sie gesteckt? Sie sollten was ausrichten; das hätte fünf Minuten gedauert, und
jetzt sind Sie schon dreißig Minuten weg.«
    Hauptmann Donnini machte Habtacht. »Tut mir leid, Sir.«
    »Sie wissen, was ich davon halte, wenn meine Männer mit dem Feind fraternisieren.«
    »Jawoll, Sir.«
    Dann war ich dran. »Und was war das mit Ihrem Fenster?«
    »Einer Ihrer Männer hat es letzte Nacht zerbrochen.«
    »Na, ist das nicht wirklich zu und zu schade?« Dies war wieder eine seiner unbeantwortbaren Fragen. »Ich habe gesagt: Ist das nicht wirklich zu und zu schade, Opa?«
    »Doch, Sir.«
    »Opa, ich werde Ihnen etwas sagen, und ich möchte, daß Sie sich das durch den Kopf gehen lassen. Und dann möchte ich, daß Sie dafür sorgen, daß es jeder in
dieser Stadt versteht.«
    »Ja, Sir.«
    »Ihr habt einen Krieg verloren. Haben Sie das kapiert? Und ich bin nicht hier, um mir von Ihnen oder sonstwem die Schulter naßweinen zu lassen. Ich bin hier, um dafür zu sorgen,
daß jeder verdammt kapiert, daß er einen Krieg verloren hat, und um dafür zu sorgen, daß keiner Ärger macht. Für nichts sonst bin ich hier. Und der nächste,
der mir erzählt, er war ein Kumpel von den Russen, weil er mußte, kriegt die Zähne eingetreten. Und das gilt ebenso für den nächsten, der mir erzählt, er hätte
es schwer. Sie haben es noch lange nicht auch nur annähernd schwer genug.«
    »Ja, Sir.«
    »Es ist Ihr Europa«, sagte Marta.
    Er drehte sich zornig zu ihr um. »Wenn es meins wäre, junge Dame, würde ich das gesamte ekelhafte Durcheinander von den Pionieren plattwalzen lassen. Weit und breit nichts als
klötenlose Wunderknaben, die dem ersten verdammten Diktator nachrennen, der vorbeikommt.« Wieder war ich, wie am ersten Tag, beeindruckt, wie entsetzlich müde und außer sich
er zu sein schien.
    »Sir ...«, sagte der Hauptmann.
    »Seien Sie still. Ich habe mich nicht bis hierher durchgekämpft, damit Einundzwanziger-Pfadfinder das Kommando übernehmen. Also, wo ist mein Schreibtisch?«
    »Ich

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