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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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unberührten Teller ab.
    Spät am Nachmittag trank ich den Scotch aus und ging über die Straße. Ich händigte dem Wachposten den Umschlag aus.
    »Noch mal was wegen der Fensterscheibe, Opa?« sagte der Posten. Offenbar war die Fenster-Episode ein Scherz, der weite Verbreitung genoß.
    »Nein, es geht um etwas anderes –, um den Schreibtisch.«
    »Okay, Opa.«
    »Danke.«
    Ich ging zurück in meine Werkstatt und legte mich zum Warten auf das Feldbett. Es gelang mir sogar, ein Nickerchen zu machen.
    Es war Marta, die mich weckte.
    »In Ordnung, ich bin bereit«, murmelte ich.
    »Bereit wofür?«
    »Die Soldaten.«
    »Nicht die Soldaten –, den Major. Er verläßt uns.«
    »Er verläßt was?« Ich warf die Beine über den Rand des Feldbetts.
    »Er steigt mit seiner gesamten Ausrüstung in einen Jeep. Major Evans verläßt Beda!«
    Ich lief ans Vorderfenster und zog die Pappe beiseite. Major Evans saß hinten im Jeep, inmitten von Matchbeuteln, einer zusammengerollten Bettdecke und weiteren
Ausstattungsgegenständen. Er wirkte, als tobe im Weichbild von Beda eine Schlacht. Er blickte finster unter einem Stahlhelm hervor, hatte einen Karabiner neben sich und einen Patronengurt mit
Messer und Pistole um die Hüften.
    »Er hat seine Versetzung bekommen«, sagte ich staunend.
    »Er wird die Guerillakämpfer bekriegen«, lachte Marta.
    »Gott steh’ ihnen bei.«
    Der Jeep fuhr an. Major Evans winkte und holperte in die Ferne davon. Das letzte, was ich von dem bemerkenswerten Mann sah, geschah, als der Jeep eine Hügelkuppe am Stadtrand erreichte. Er
drehte sich um, machte eine lange Nase und geriet im jenseitigen Tal außer Sicht.
    Hauptmann Donnini war auf der anderen Straßenseite meinem Blick gefolgt und nickte mir zu.
    »Wer ist der neue Kommandant?« rief ich.
    Er klapste sich auf die Brust.
    »Was ist ein Einundzwanziger-Pfadfinder?« flüsterte Marta.
    »So, wie es der Major ausgesprochen hat, etwas sehr Unsoldatisches, Naives und Weichherziges. Pscht! Hier kommt er schon.«
    Hauptmann Donnini war von seiner neuen Wichtigkeit halb feierlich, halb amüsiert gestimmt.
    Er zündete sich nachdenklich eine Zigarette an und sah aus, als versuche er, im Geiste etwas zu formulieren. »Sie haben gefragt, wann das Ende des Hasses kommen würde«,
sagte er schließlich. »Es kommt eben jetzt. Keine Arbeitsbataillone mehr, kein Diebstahl, kein Vandalismus. Ich habe nicht genug erlebt, um zu hassen.« Er paffte an der Zigarette
und dachte noch ein bißchen mehr. »Aber ich bin sicher, daß ich die Menschen von Beda so erbittert hassen kann wie Major Evans, wenn sie nicht morgen damit anfangen, diese Stadt
zu einem anständigen Ort für die Kinder wiederaufzubauen.«
    Er wandte sich schnell ab und ging zurück über die Straße.
    »Herr Hauptmann«, rief ich, »ich habe Major Evans einen Brief geschrieben ...«
    »Er hat ihn an mich weitergegeben. Ich habe ihn noch nicht gelesen.«
    »Könnte ich ihn zurückhaben?«
    Er sah mich fragend an. »Gut, in Ordnung. Er liegt auf meinem Schreibtisch.«
    »In dem Brief geht es um den Schreibtisch. Da ist noch etwas, was ich in Ordnung bringen muß.«
    »Die Schubladen funktionieren prächtig.«
    »Es gibt da noch eine Spezialschublade, von der Sie nichts wissen.«
    Er zuckte die Achseln. »Kommen Sie mit.«
    Ich warf ein paar Werkzeuge in eine Tasche und lief zu seinem Büro. Der Schreibtisch stand in prunkvoller Einsamkeit mitten im ansonsten spartanischen Raum. Mein Brief lag auf der
Tischplatte.
    »Sie können ihn lesen, wenn Sie mögen«, sagte ich. Er öffnete den Brief und las vor:
    »Sehr geehrter Herr, es gibt an dem Schreibtisch eine Einzelheit, die ich Ihnen gegenüber zu erwähnen verabsäumt habe. Wenn Sie direkt unter dem Adler
nachsehen, werden Sie bemerken, daß sich das Eichenblatt in der Ornamentierung eindrücken und drehen läßt. Drehen Sie es, bis der Stengel auf die linke Klaue des Adlers
deutet. Drücken Sie dann auf die Eichel unmittelbar über dem Adler, und ...«
    Während er las, befolgte ich meine eigene Gebrauchsanweisung. Ich drückte auf das Blatt und drehte es, und es machte klick. Ich drückte mit dem Daumen auf die Eichel, und das
Vorderteil einer kleinen Schublade sprang knapp einen Zentimeter weit heraus, gerade genug, damit man sie anfassen und vollends herausziehen konnte.
    »Scheint zu klemmen«, sagte ich. Ich griff unter den Schreibtisch und kappte eine Klaviersaite, die an der Rückseite der Schublade befestigt war. »Da!« Ich zog

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