Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
Opa.«
»Hammer und Sichel, ich weiß. Ich wollte sie bereits ...«
»Sie haben ja so recht«, sagte der Major. Er holte mit dem Stiefel aus und versetzte dem massiven Wappen einen wilden Tritt gegen den Rand. Das runde Stück brach ab, kullerte
trunken in eine Ecke und blieb mit einem Rrrobbeldirrrobbeldirrrobbeldi-Klack! liegen. Die Katze inspizierte es und ging argwöhnisch rückwärts wieder weg.
»Da kommt ein Adler hin, Opa.« Er nahm die Mütze ab, um mir den Adler an der Mütze zu zeigen. »So einer.«
»Kein schlichtes Design. Wird ein bißchen dauern«, sagte ich.
»Nicht so schlicht wie ein Hakenkreuz oder Hammer und Sichel, was?«
Ich hatte wochenlang davon geträumt, daß ich den Witz des Schreibtischs mit den Amerikanern teile, daß ich ihnen von der geheimen Schublade berichte, die ich für den
russischen Kommandanten eingebaut hatte, dem köstlichsten Witz von allen. Jetzt waren die Amerikaner hier, und ich fühlte mich ein bißchen anders als zuvor –, mies und
verloren und einsam. Ich hatte keine Lust mehr, irgendwas zu teilen, außer mit Marta.
»Nein«, sagte ich in Beantwortung der vergifteten Frage des Majors. »Nein, Sir.« Was hätte ich sonst sagen sollen?
Die amerikanische Garnison in Beda umfaßte etwa hundert Mann, fast alle – außer Hauptmann Donnini – Veteranen, die jahrelang in derselben
Panzerdivision gekämpft hatten, aus der Major Evans stammte. Sie benahmen sich wie Eroberer, und Major Evans ermunterte sie dazu, sich haargenau so zu benehmen. Ich hatte mir viel von der
Ankunft der Amerikaner erwartet –, eine Wiedergeburt von Stolz und Würde für Marta und mich, ein bißchen Wohlstand und gut zu essen, sowie, für Marta, daß ihr
Leben endlich lebenswert würde. Statt dessen gab es das tyrannische Mißtrauen von Major Evans, dem neuen Kommandanten, in Gestalt seiner Männer mit 100 multipliziert.
Im Albtraum einer kriegführenden Welt erfordert es eigentümliche Fertigkeiten, um zurechtzukommen. Eine ist das Verständnis der Psyche von Besatzungstruppen. Die Russen waren
nicht wie die Nazis, und die Amerikaner waren sowohl ganz anders als die Nazis als auch ganz anders als die Russen. Die physische Gewalt der Russen und der Nazis gab es nicht, Gott sei
Dank –, keine Erschießungen oder Folterungen. Besonders interessant war, daß die Amerikaner sich betrinken mußten, bevor sie richtig Ärger machen konnten.
Bedauerlicherweise für Beda ließ Major Evans sie sich betrinken, sooft sie wollten. Waren sie dann betrunken, stahlen sie – im Namen der Souvenirjagd – liebend
gern, fuhren liebend gern mit ihren Jeeps in halsbrecherischem Tempo durch die Gassen, schossen liebend gern in die Luft, grölten liebend gern Obszönitäten, suchten liebend gern
Streit und zerschmetterten liebend gern Fensterscheiben.
Die Leute von Beda hatten sich so sehr daran gewöhnt, still und unsichtbar zu sein, egal, was passierte, daß wir eine ganze Zeit brauchten, um den wirklich grundlegenden Unterschied
zwischen den Amerikanern und den anderen herauszufinden. Die Härte der Amerikaner, ihre Gefühllosigkeit, war sehr oberflächlich, und darunter waren sie zutiefst besorgt. Wir
entdeckten, daß sie leicht von Frauen oder älteren Männern in Verlegenheit gebracht werden konnten, die sich ihnen gegenüber wie Eltern behaupteten und sie gehörig
ausschimpften. Dies machte die meisten von ihnen so schnell nüchtern wie eimerweise kaltes Wasser.
Dieser Einblick in die Seelen unserer Eroberer machte uns alles ein bißchen erträglicher, aber nicht sehr. Es blieb die niederschmetternde Erkenntnis, daß wir als der Feind
betrachtet wurden, nur wenig anders als die Russen, und daß der Major uns bestraft sehen wollte. Die Anwohner wurden zu Arbeitsbataillonen zusammengefaßt und mußten unter
bewaffneter Bewachung schuften wie Kriegsgefangene. Was die Zwangsarbeit besonders entsetzlich machte, war, daß es weniger darum ging, Kriegsschäden zu reparieren, als darum, die
amerikanische Garnison behaglicher zu gestalten und ein großes und häßliches Denkmal zu Ehren der Amerikaner zu errichten, die in der Schlacht um Beda gefallen waren. Vier waren
gefallen. Major Evans machte die Atmosphäre der Stadt zu einer Gefängnisatmosphäre. Schmach lautete der Tagesbefehl, und knospender Stolz, knospende Hoffnung wurden prompt
abgeknipst. Wir hatten kein Recht auf solche Gefühle.
Einen Lichtblick gab es aber doch, einen Amerikaner, der noch unglücklicher war als jeder
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