Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
Vom Netzwerk:
die
Schublade ganz heraus. »Sehen Sie?«
    Hauptmann Donnini lachte. »Major Evans hätte es geliebt. Wunderbar!« Anerkennend machte er die Schublade mehrmals auf und zu und staunte, wie perfekt sich ihre Vorderseite in
die Ornamentierung einfügte. »Da wünscht man sich doch, daß man Geheimnisse hätte.«
    »In Europa gibt es nicht viele Menschen ohne welche«, sagte ich. Er drehte mir kurz den Rücken. Ich griff unter das Schreibmöbel des Kommandanten, ließ einen
Sicherungsbolzen in die Zündkapsel gleiten und entfernte die Bombe.

NIE WIEDER
    BLAUER
    MONTAG

ARMAGEDDON IM RÜCKBLICK
    Lieber Freund:
    W ürden Sie mir eine Minute Ihrer Zeit überlassen? Wir sind uns nie begegnet, aber ich nehme mir die Freiheit,
Ihnen zu schreiben, weil ein gemeinsamer Freund Sie als weit über dem Durchschnitt rühmte, was Intellekt und Sorge um Ihre Mitmenschen betrifft.
    Da jeden Tag eine derartige Flut neuer Informationen auf uns einstürmt, ist es sehr leicht für uns, bedeutsame Ereignisse, die nur wenige Tage zurückliegen, rasch zu vergessen.
Lassen Sie mich also Ihre Erinnerung an ein Ereignis auffrischen, welches die Welt vor fünf kurzen Jahren erschütterte und nun – außer bei wenigen von uns – so
gut wie vergessen ist. Damit meine ich das, was, aus guten biblischen Gründen, als Armageddon bekannt wurde.
    Sie erinnern sich vielleicht an die hektischen Anfänge im Pine-Institut. Ich gestehe, daß ich die Arbeit als Institutsverwalter mit einem Gefühl der Scham und Torheit anging, und
dies ausschließlich des Geldes wegen. Ich hatte viele andere Angebote, aber der Personalchef des Instituts bot mir zweimal soviel Bezahlung wie die besten Mitbewerber. Nach drei Jahren der
Armut als Hochschulabsolvent war ich verschuldet, nahm den Job an und redete mir ein, ich würde ein Jahr bleiben, meine Schulden abzahlen, ein bißchen was ansparen, mir einen
respektablen Job besorgen und fortan leugnen, Verdigris, Oklahoma, je näher als hundert Meilen gekommen zu sein.
    Dank dieser moralischen Verfehlung kam ich mit einer der wahrhaft heroischen Gestalten unserer Zeit in Berührung, mit Dr. Gorman Tarbell.
    Das Kapital, welches ich ins Pine-Institut einbrachte, war eher allgemeiner Natur, es bestand hauptsächlich aus den Fertigkeiten, die man bei einem Doktor in BWL erwarten kann. Ich
hätte dies Kapital genausogut als Geschäftsführer einer Dreiradfabrik oder eines Themenparks einsetzen können. Ich war in keiner Weise Schöpfer der Theorien, die uns bis
Armageddon und weiter gebracht haben. Ich erschien erst ziemlich spät am Schauplatz, als viel Wichtiges bereits gedacht worden war.
    Sowohl spirituell als auch, was Opferbereitschaft anlangt, gehört der Name von Dr. Tarbell ganz oben auf die Liste derjenigen, die wahrhaft zu Kampagne und Sieg beigetragen haben.
    Chronologisch sollte die Liste wahrscheinlich mit dem verstorbenen Dr. Selig Schildknecht aus Dresden, Deutschland, beginnen, der die letzte Hälfte seines Lebens und Erbes, im großen
und ganzen fruchtlos, damit ver- bzw. durchgebracht hat, irgend jemanden für seine Theorien über Geisteskrankheit zu interessieren. Was Schildknecht sagte, läuft im Effekt darauf
hinaus, daß die einzige vereinheitlichte Theorie über die Geisteskrankheit, die auf sämtliche Fakten zuzutreffen schien, auch gleichzeitig die älteste, nie widerlegte, war. Er
glaubte, daß Geisteskranke vom Teufel besessen seien.
    Dies sagte er in einem Buch nach dem anderen, alle auf eigene Kosten gedruckt, weil kein Verleger etwas mit ihnen zu tun haben wollte, und er drang darauf, daß Forschungsanstrengungen
unternommen würden, um soviel wie möglich über den Teufel, seine Erscheinungsformen, seine Gewohnheiten, seine starken Seiten, seine Schwächen herauszufinden.
    Der nächste auf der Liste ist Amerikaner, mein früherer Chef, Jessie L. Pine aus Verdigris. Vor vielen Jahren bestellte Pine, ein Ölmillionär, 66 laufende Meter
Bücher für seine Bibliothek. Der Buchhändler sah eine Gelegenheit, neben anderen Prachtstücken die gesammelten Werke Dr. Selig Schildknechts loszuwerden. Pine nahm an, daß
die Schildknecht-Bände, da sie fremdsprachig waren, Passagen enthielten, die zu gewagt waren, um auf englisch gedruckt zu werden. Also stellte er den Dekan der Germanistischen Fakultät
der Universität von Oklahoma dazu an, sie ihm vorzulesen.
    Weit entfernt davon, angesichts der Auswahl des Buchhändlers fuchsteufelswild zu werden, war Pine überglücklich. Sein ganzes

Weitere Kostenlose Bücher