Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
mache gerade den Adler fertig.«
»Dann wollen wir doch mal sehen.« Ich überreichte ihm die Scheibe. Er fluchte leise und berührte die Insignien an seiner Mütze. »So«, sagte er.
»Genauso will ich ihn.«
Ich blinzelte die Insignien an seiner Mütze an. »Er ist aber genauso. Ich habe ihn genau von einer Dollarnote kopiert.«
»Die Pfeile, Opa! In welcher Klaue sind die Pfeile?«
»Oh –, an Ihrer Mütze sind sie in der rechten Klaue, auf dem Geldschein sind sie in der linken.«
»Und das ist ein gewaltiger Unterschied, Opa: Eins ist die Armee, das andere ist für Zivilisten.« Er hob das Knie und zerbrach die Schnitzerei darauf. »Zweiter Versuch.
Sie waren so eifrig darauf bedacht, den russischen Kommandanten zu erfreuen. Jetzt erfreuen Sie mich!«
»Könnte ich etwas sagen?« sagte ich.
»Nein. Alles, was ich von Ihnen hören will, ist, daß ich den Tisch morgen früh kriege.«
»Aber für das Schnitzen brauche ich Tage.«
»Bleiben Sie die ganze Nacht auf.«
»Ja, Sir.«
Er ging hinaus, und der Hauptmann folgte ihm auf dem Fuße.
»Was wolltest du ihm sagen?« sagte Marta mit trockenem Lächeln.
»Ich wollte ihm sagen, daß die Tschechen so hart und lange gegen das Europa gekämpft haben, das er haßt, wie er. Ich wollte ihm sagen ... Ach, was
soll’s.«
»Sprich weiter.«
»Du hast es tausendmal gehört, Marta. Es ist, glaube ich, eine ermüdende Geschichte. Ich wollte ihm sagen, wie ich gegen die Habsburger und die Nazis gekämpft habe, und dann
gegen die tschechischen Kommunisten und dann gegen die Russen –, auf meine eigene kleine Weise mit meinen eigenen bescheidenen Mitteln gekämpft. Kein einziges Mal habe ich für
einen Diktator Partei ergriffen, und das werde ich auch nie tun.«
»Mach dich lieber an die Arbeit mit dem Adler. Nicht vergessen, Pfeile in die rechte Hand.«
»Marta, du hast noch nie Scotch gekostet, stimmt’s?« Ich grub die Nagelklaue eines Hammers in eine Ritze im Fußboden und stemmte das Brett hoch. Dort lag die staubige
Flasche Scotch, die ich für den großen Tag meiner Träume aufbewahrt hatte.
Sie war köstlich, und wir betranken uns ziemlich. Während ich arbeitete, ließen wir die alten Zeiten wieder aufleben, Marta und ich, und zwischendurch schien es fast, als
wäre ihre Mutter wieder am Leben und Marta wäre wieder ein junges, hübsches und sorgloses Mädchen und wir hätten wieder unser Zuhause und unsere Freunde in Prag
und ... Ach Gott, eine kurze Zeit lang war es richtig schön.
Marta schlief auf dem Feldbett ein, und ich summte mir etwas vor, während ich bis spät in die Nacht hinein den amerikanischen Adler herausmeißelte. Es war eine krude, schludrige
Arbeit, und ich verdeckte ihre Makel mit Kitt und der falschen Goldfarbe.
Ein paar Stunden vor Sonnenaufgang leimte ich das Emblem an den Schreibtisch, brachte Schraubzwingen an und fiel in tiefen Schlaf. Der Schreibtisch für den neuen Kommandanten war fertig,
genauso, wie ich ihn, bis auf das Emblem, für den russischen Kommandanten entworfen hatte.
Früh am nächsten Morgen kamen sie, um den Schreibtisch abzuholen, ein halbes Dutzend Soldaten und der Hauptmann. Der Schreibtisch sah aus wie der Totenschrein
für einen orientalischen Potentaten, als sie ihn wie Sargträger über die Straße schleppten. Der Major erwartete sie an der Tür und schrie Warnungen, sobald sie drohten,
mit dem Schatz gegen den Türrahmen zu schrammen. Die Tür schloß sich, der Wachposten bezog wieder Stellung davor, und es gab nichts mehr zu sehen.
Ich ging in meine Werkstatt, säuberte die Werkbank von den Holzspänen und begann einen Brief an Major Lawson Evans, 1402. Kompanie, Beda, Tschechoslowakei.
Sehr geehrter Herr , schrieb ich, es gibt an dem Schreibtisch eine Einzelheit, die ich Ihnen gegenüber zu erwähnen verabsäumt
habe. Wenn Sie direkt unter dem Adler nachsehen, werden Sie bemerken ...
Ich brachte den Brief nicht gleich über die Straße, obwohl ich das vorgehabt hatte. Ich empfand ein bißchen Übelkeit, als ich ihn noch einmal las –, was ihm
nicht gelungen wäre, wenn er an den russischen Kommandanten gerichtet gewesen wäre, dem ich ihn eigentlich zugedacht hatte. Ich dachte an den Brief, und das verdarb mir den Appetit aufs
Mittagessen, obwohl ich seit Jahren nicht genug zu essen bekommen hatte. Marta war in ihrer eigenen Depression zu verloren, um es zu bemerken, obwohl sie mich ausschilt, wenn ich nicht auf mich
achtgebe. Ohne ein Wort räumte sie meinen
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