Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
Leben lang hatte er sich seines Mangels an Bildung
wegen gedemütigt gefühlt, und hier hatte er einen Mann mit fünf akademischen Titeln gefunden, dessen fundamentale Philosophie mit seiner eigenen übereinstimmte, nämlich:
»Das einzigste auf der Welt, was mit den Leuten nicht stimmt, ist, daß der Teufel sich ein paar von ihnen geschnappt hat.«
Wenn es Schildknecht gelungen wäre, ein bißchen länger am Leben zu bleiben, wäre er nicht völlig verarmt gestorben. Doch so verpaßte er die Gründung des
Jessie-L.-Pine-Instituts um nur zwei Jahre. Vom Augenblick der Gründung an war jeder Spritzer aus der Hälfte der Ölquellen von Oklahoma ein Nagel zum Sarge des Teufels. Und es
verging kaum ein Tag, an dem nicht der eine oder andere Opportunist einen Zug in Richtung der marmornen Hallen von Verdigris bestieg.
Die Liste würde, wenn ich sie vervollständigen wollte, ziemlich lang, denn Tausende von Männern und Frauen, wenige davon intelligent und ehrsam, begannen die Pfade der Forschung
zu erkunden, wie Schildknecht sie vorgegeben hatte, während Pine ihnen beharrlich mit Brotbeuteln voll frischer Barmittel überallhin folgte. Aber die meisten dieser Männer und Frauen
verfügten lediglich über eine riesenhafte Kuchengabel, um ein möglichst großes Stück von einem der größten Kuchen der Geschichte abzukriegen, und waren
ansonsten inkompetent und eifersüchtig. Ihre Experimente, meist schaurig teuer, waren in erster Linie Satiren auf die Ignoranz und Gutgläubigkeit ihres Wohltäters Jessie L. Pine.
All diese Millionen wären nutzlos verschleudert worden, und ich zum Beispiel hätte meine erstaunliche Gehaltsüberweisung bezogen, ohne auch nur den Versuch unternommen zu haben,
sie einigermaßen redlich zu verdienen, wenn nicht der lebendige Märtyrer Armageddons gewesen wäre, Dr. Gorman Tarbell.
Er war das älteste Mitglied des Instituts, und das seriöseste –, etwa sechzig, schwer, klein, leidenschaftlich, mit langem weißem Haar, mit Kleidern, in denen er
aussah, als verbringe er seine Nächte unter Brücken. Er hatte sich nach einer erfolgreichen Karriere als Physiker in einem großen Industrieforschungslabor an der Ostküste in
der Nähe von Verdigris zur Ruhe gesetzt. Er schaute eines Nachmittags beim Einkaufen im Institut vorbei, um herauszufinden, was denn nun eigentlich in diesen eindrucksvollen Gebäuden
vorging.
Ich war derjenige, der ihn zuerst sah, und da ich ihn als einen Mann von außerordentlicher Intelligenz wahrnahm, nahm ich es etwas verlegen auf mich, ihm zu sagen, was das Institut
beabsichtigte. Meine Herangehensweise vermittelte sinngemäß etwa den Satz: »Unter uns zwei hochgebildeten Menschen, und wenn Sie es nicht weitersagen, ist all dies großer
Quatsch.«
Er schloß sich jedoch meinem herablassenden Belächeln des Projekts nicht an, sondern bat statt dessen darum, etwas von Dr. Schildknechts Schriften sehen zu dürfen. Ich brachte
ihm den Hauptband, in dem zusammengefaßt ist, was in allen anderen steht, stand neben Dr. Tarbell und kicherte wissend, während er ihn überflog.
»Haben Sie noch Laboratorien übrig?« sagte er schließlich.
»Nun, ja, die, äh, haben wir«, sagte ich.
»Wo?«
»Nun, der ganze zweite Stock ist noch unbelegt. Die Anstreicher machen ihn gerade fertig.«
»Welchen Raum kann ich haben?«
»Sie meinen, Sie wollen einen Job?«
»Ich will Frieden und Ruhe und viel Platz zum Arbeiten.«
»Ihnen ist aber klar, Sir, daß die einzige Arbeit, die hier geleistet werden kann, mit Dämonologie zu tun haben muß?«
»Ein zutiefst erbaulicher Gedanke.«
Ich spähte den Korridor entlang, um sicherzugehen, daß Pine nicht in der Nähe war, und flüsterte dann: »Sie denken wirklich, da könnte was dran sein?«
»Welches Recht habe ich, etwas anderes zu denken? Können Sie mir beweisen, daß der Teufel nicht existiert?«
»Nun, ich meine ... Um des lieben Himmels willen, niemand, der einigermaßen gebildet ist, glaubt an ...«
Krach! Sein Krückstock knallte auf meinen nierenförmigen Schreibtisch. »Bis wir bewiesen haben, daß der Teufel nicht existiert, ist er so
real wie dieser Schreibtisch.«
»Ja, Sir.«
»Schämen Sie sich nicht Ihres Jobs, Junge! In dem, was hier geschieht, liegt so viel Hoffnung wie in allem, was in irgendeinem Kernforschungslaboratorium geschieht. ›Glaubt an
den Teufel!‹ sage ich, und wir werden weiter an ihn glauben, bis wir bessere Gründe dafür haben, nicht an ihn zu glauben, als bisher. Das
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