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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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klingelt schon wieder das Telefon! Das nenne ich aber wirklich Zivilisation.«
    »Mr. Fenton«, sagte das Dienstmädchen, »es ist Mr. Converse.«
    »Hallo, Lou, Sie alter Pferdedieb. Sehen uns gerade Ihre Laubsägearbeiten an. Maude und ich werden wieder aufs College müssen, um auf Elektroingenieur zu studieren, ha
ha ... Was? Wer ...? Tatsache. Das wollen sie wirklich ...? Na ja, mit so was hätte man wohl rechnen müssen. Wenn ihnen so viel dran liegt, okay. Maude und ich fahren
einmal sauber um die ganze Welt, sind noch keine zwei Minuten zu Hause, und schon ist ein Betrieb wie auf dem Bahnsteig.«
    Earl legte auf und kratzte sich mit gespielter Verblüffung und Mattigkeit den Kopf. In Wirklichkeit freute er sich über den Rummel, über den klingelnden Beweis, daß sein
Leben, im Gegensatz zu Fabrikbesitz, Kinderaufzucht und Weltumrundung, kaum angefangen hatte.
    »Was jetzt?« sagte Maude.
    »Och, so eine dumme Einrichtungs-Illustrierte will was über das Haus machen, sagt Converse, und heute nachmittag wollen sie die Bilder knipsen.«
    »Na toll!«
    »Ja –, wahrscheinlich. Ich will nicht auf diesen ganzen Fotos herumstehen wie Graf Protz.« Um zu zeigen, wie egal ihm alles war, interessierte er sich für etwas
anderes. »Wir haben ihr zwar genug dafür bezahlt, aber diese Innenarchitektin hat wirklich an alles gedacht.« Er hatte einen Schrank neben den Terrassentüren geöffnet und
eine Schürze, eine Kochmütze und Asbest-Handschuhe gefunden. »Mensch, weißt du was, das hat es ja wirklich. Siehst du, was auf der Schürze steht, Maude?«
    »Niedlich«, sagte Maude und las die Aufschrift vor: »›Schießen Sie nicht auf den Koch; er gibt sein Bestes.‹ Du siehst aus wie ein regelrechter Jean-Pierre
vom Waldorf, Earl. Nun zeig mal, wie du mit der Mütze wirkst.«
    Er grinste schüchtern und machte Umstände mit der Mütze. »Weiß nicht genau, wierum man so eine Narrenkappe aufsetzt. Komme mir wie ein Marsmensch vor.«
    »Also, für mich siehst du ganz toll aus, und ich würde dich gegen keine hundert hochgestochenen Charley Freemans eintauschen.«
    Sie wanderten Arm in Arm über die geflieste Terrasse zum Grill, ein steinernes Gefüge, welches man von weitem für ein Kleinstadtpostamt halten konnte. Sie küßten sich,
wie sie sich vor der Großen Pyramide, dem Kolosseum und dem Tadsch Mahal geküßt hatten.
    »Weißt du was, Maude?« sagte Earl, in dessen Busen ein großes Gefühl anschwoll. »Weißt du, ich habe mir immer gewünscht, mein Alter wäre reich,
damit du und ich genau so ein Haus – peng! – haben könnten, sobald wir aus dem College kamen und geheiratet haben. Aber weißt du was, dann könnten wir jetzt
nicht diesen Moment haben und zurückblicken und wissen, wir haben, bei Gott, jeden Zoll dieses Wegs allein geschafft. Und wir verstehen den kleinen Mann, Maude, weil wir auch mal kleine
Männer waren. Mensch, für niemanden, der mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurde, gibt es dies Verständnis zu kaufen. Viele auf der Kreuzfahrt wollten sich die ganze
schreckliche Armut in Asien nicht ansehen, als hätten sie ein schlechtes Gewissen. Aber wir ... Wir haben alles auf die harte Tour geschafft, und deshalb plagt uns, glaube ich, auch unser
Gewissen nicht so sehr, und deshalb konnten wir uns diese armen Leute ansehen und sie irgendwie verstehen.«
    »Ö-hö«, sagte Maude.
    Earl wackelte mit den Fingern in den dicken Handschuhen. »Und heute abend werde ich dir und mir und Charley ein Filetsteak braten, so dick wie das Telefonbuch von Manhattan, und jedes
Gramm davon wird wohlverdient sein, wenn ich das selbst mal so sagen darf.«
    »Wir haben noch nicht mal ausgepackt.«
    »Na und? Ich bin nicht müde. Ich habe noch so viel zu leben, und je schneller ich damit anfange, desto mehr schaffe ich.«
    Earl und Maude waren im Wohnzimmer, Earl immer noch als Meisterkoch verkleidet, als Charles Freeman vom Dienstmädchen hereingeführt wurde.
    »Mensch!« sagte Earl. »Wenn das nicht Charley ist!«
    Charley war so dünn und aufrecht wie einst, und sein hauptsächliches Altersmerkmal war das Grauerwerden seines dichten Haars. Sein Gesicht war zwar faltig, sah aber noch zuversichtlich
und weise aus, war immer noch, fand Earl, milde spöttisch. Vom alten Charley war tatsächlich so viel übrig, daß die College-Zeit, vierzig Jahre tot, in Earls Erinnerung wieder
auflebte. Er konnte nicht anders, Earl fühlte sich ärgerlich unterwürfig, fühlte sich ungehobelt und

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