Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
Vom Netzwerk:
er durch ein Aussichtsfenster auf die geflieste Terrasse mit dem Grill spähte, von kalifornischem Sonnenschein überflutet, und auf das Tor, dessen
Flügel aus stilisierten Wagenrädern bestanden und das sich zur geschotterten Einfahrt hin öffnete, und weiterspähte, auf die Garage, komplett mit Schwalbenhaus, Wetterhahn und
zwei Cadillacs. »Mensch, Maude«, sagte er, »ich habe gerade mit einem Gespenst gesprochen.«
    »Hm?« sagte Maude. »Aha! Siehst du, das Aussichtsfenster geht rauf, und das Fliegengitter kommt runter. Gespenst? Mit wem denn bloß?«
    »Freeman, Charley Freeman. Ein Name aus der Vergangenheit, Maude. Ich konnte es erst gar nicht glauben. Charley war Verbindungsbruder und so ziemlich der Größte in der
Abschlußklasse von 1910. Lauf-As, Verbindungspräsident, Herausgeber der Zeitung, Phi Beta Kappa.«
    »Meine Güte! Wieso kommt er dann ausgerechnet uns arme Leute besuchen?« sagte Maude.
    Earl war gerade Zeuge eines beunruhigenden lebenden Gemäldes, das jahrelang in seinem Hinterkopf verstaut gewesen war: Charley Freeman, weltmännisch, geschmackvoll gekleidet,
ließ sich von Earl, der eine Kellnerjacke trug, einen Teller servieren. Als er Charley eingeladen hatte, war Earls Begeisterung automatisch gewesen, der Reflex eines Mannes, der stolz darauf
war, bei allem Erfolg ein einfacher, normaler, netter Kerl zu sein. Wenn er jetzt daran dachte, wie ihr Verhältnis auf dem College gewesen war, merkte Earl, daß ihm die Aussicht auf
Charleys Ankunft Unbehagen bereitete. »Er war ein reiches Balg«, sagte Earl. »Einer dieser Jungs ...«, und seine Stimme bekam einen Hauch von Bitterkeit, »... die
alles hatten. Weißt du?«
    »Na, Süßer«, sagte Maude, »du hast dich ja auch nicht gerade versteckt, als Aussehen und Hirn verteilt wurden.«
    »Nein –, aber als das Geld verteilt wurde, habe ich eine Kellnerjacke und einen Mop gekriegt.« Sie sah ihn mitfühlend an, und er faßte Mut, sein Herz zu dem
Thema auszuschütten. »Mensch, Maude, da geht was in einem vor, wenn man Jungs bedienen muß, die genauso alt sind wie man selbst, hinter ihnen saubermacht und sie mit schicken
Klamotten und allem Geld der Welt sieht, und im Sommer fahren sie fürstlich in Ferien, während ich arbeiten gehen muß, um die Studiengebühren für das nächste Jahr zu
bezahlen.« Earl war überrascht vom Gefühl in seiner Stimme. »Und die ganze Zeit blicken sie auf einen herab, als wäre was verkehrt mit Leuten, die ihr Geld nicht auf dem
Silbertablett überreicht gekriegt haben.«
    »Na, da werde ich aber doch sofort wütend!« sagte Maude und straffte entrüstet die Schultern, wie um Earl vor denen zu beschützen, die ihn auf dem College
gedemütigt hatten. »Wenn dieser bedeutende Charley Freeman damals hochnäsig zu dir war, verstehe ich nicht, weshalb wir ihn jetzt im Haus haben müssen.«
    »Ach, was soll’s. Man muß vergeben und vergessen«, sagte Earl düster. »Bringt mich nicht mehr aus der Fassung. Er schien zu uns rauskommen zu wollen, und ich
versuche, nett zu sein, egal, was war.«
    »Und was macht der hochmögende Freeman jetzt?«
    »Weiß ich nicht. Irgendwas Großes, nehme ich an. Er hat Medizin studiert, ich bin hierher zurückgekommen, und dann haben wir irgendwie den Kontakt verloren.« In
Experimentierlaune drückte Earl auf einen Knopf an der Wand. Aus dem Keller kamen gedämpfte Surr- und Klickgeräusche, und Maschinen übernahmen die Kontrolle über Temperatur
und Feuchtigkeit und Reinheit der Atmosphäre ringsum. »Aber ich nehme nicht an, daß Charley sich wesentlich mehr leisten kann als das hier.«
    »Was hat er dir denn unter anderem angetan?« hakte Maude, immer noch entrüstet, nach.
    Earl wischte das Thema mit der Hand beiseite. Es gab keine besonderen Vorfälle, von denen er Maude berichten konnte. Menschen wie Charley Freeman hatten Earl nicht schlankweg
gedemütigt, während er sie bediente, aber er war trotzdem sicher, daß man auf ihn herabgeblickt hatte und daß hinter seinem Rücken über ihn geredet worden war
und ...
    Er schüttelte den Kopf, um die verdrießliche Stimmung loszuwerden, und lächelte. »Na, Mutti, was meinst du, nehmen wir ein Gläschen mit was drin und machen dann eine
Wanderung durch das Haus? Wenn ich es Charley zeigen will, muß ich erst mal herausfinden, wie dieser ganze Schwindel teilweise funktioniert, sonst glaubt er, ich bin in dieser Anlage so sehr
zu Hause wie ein pensionierter Hausmeister oder Kellner oder was. Mensch, da

Weitere Kostenlose Bücher