Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
langsam. Seine einzige Verteidigung war die alte –, versteckter
Groll, mit der Hoffnung, daß alles bald ganz anders werden würde.
»Lange her, was, Earl?« sagte Charley, die Stimme immer noch tief und männlich. »Du siehst gut aus.«
»Kann viel Wasser in vierzig Jahren unter der Brücke durchfließen«, sagte Earl. Er fuhr nervös mit dem Finger über das üppige Gewebe des Sofas. Und dann
fiel ihm Maude ein, die steif und dünnlippig hinter ihm stand. »Oh, entschuldige, Charley, das ist meine Frau, Maude.«
»Dies ist ein Vergnügen, welches ich lange vor mir her schieben mußte«, sagte Charley. »Ich habe das Gefühl, Sie – ich darf doch ›du‹
sagen, Maude? – dich schon lange zu kennen, so viel hat Earl im College von dir gesprochen.«
»Wie geht’s?« sagte Maude.
»Viel besser, als ich noch vor sechs Monaten zu erwarten Grund gehabt habe«, sagte Charley. »Was für ein schönes Haus!« Er legte die Hand auf die
Fernseh-Radio-Plattenspieler-Konsole. »Also, wie zum Teufel nennt man so was denn?«
»Hä?« sagte Earl. »Fernseher. Glotze. TV . Nach was sieht es denn aus?«
» TV ?« sagte Charley stirnrunzelnd. » TV ? Ach –, Abkürzung für
›Television‹. Ist das so ein Gerät?«
»Du machst doch Witze, Charley?«
»Nein, wirklich. Es muß mehr als anderthalb Milliarden armer Seelen geben, die nie eins von den Dingern gesehen haben, und ich bin eine davon. Tut es weh, wenn man das Glasteil
anfaßt?«
»Den Bildschirm?« Earl lachte unbehaglich. »Nie und nimmer –, nur zu.«
»Mr. Freeman hat wahrscheinlich einen Bildschirm zu Hause, der fünfmal so groß ist«, sagte Maude und lächelte kalt, »und jetzt macht er die ganze Zeit schon
Witze, daß er den Fernseher nicht mal als solchen erkennt, weil er so klein ist.«
»Nun, Charley«, sagte Earl und unterbrach forsch das Schweigen, welches auf Maudes Kommentar gefolgt war, »und was verschafft uns die Ehre deines Besuchs?«
»Ich wollte die alten Zeiten hochleben lassen«, sagte Charley. »Ich war gerade zufällig in der Stadt, und da fiel mir ein, daß ...«
Bevor Charley das näher ausführen konnte, wurde er von einer Gesellschaft unterbrochen, die sich aus Lou Converse, einem Fotografen von Home Beautiful und einer jungen, hübschen Autorin zusammensetzte.
Der Fotograf, der sich schlicht als Slotkin vorstellte, übernahm das Kommando über den Haushalt und unterband während der Gesamtdauer seiner Visite jede Unterhaltung und
Aktivität, die nicht unmittelbar mit der Aufnahme der Illustriertenfotos zu tun hatten. »So«, sagte Slotkin, »und der Gimmick ist der Peckitsch, ja?«
»Peckitsch?« sagte Earl.
» Package «, sagte die Autorin, »das Paket. Sehen Sie, wir wollen so an die Story herangehen, daß Sie von einer Kreuzfahrt um die Welt nach
Hause kommen, und das Zuhause ist ein komplettes Lebens-Paket –, alles, was man sich für ein ausgefülltes Leben nur wünschen kann.«
»Oh.«
»Und komplett ist es«, sagte Lou Converse, »komplett bis hinunter zu einem voll bestückten Weinkeller und einer Speisekammer voller Gourmet-Spezialitäten. Nagelneue
Autos, alles nagelneu bis auf den Wein.«
»Aha! Preisausschreiben gewonnen«, sagte Slotkin.
»Er hat seine Fabrik verkauft und sich zurückgezogen«, sagte Converse.
»Maude und ich haben gedacht, wir sind uns noch was schuldig«, sagte Earl. »All die Jahre haben wir uns zurückgehalten, haben das Geld wieder in die Firma gesteckt und
alles, und dann, als die Kinder groß waren und das Angebot für die Fabrik kam, wurden wir ganz plötzlich sozusagen wahnsinnig und sagten uns: ›Warum nicht?‹ Und da
haben wir einfach alles geordert, was wir uns immer schon gewünscht hatten.«
Earl warf einen Blick auf Charley Freeman, der sich beiseite und im Hintergrund hielt, mit einem halben Lächeln, und von der Szene fasziniert zu sein schien. »Angefangen haben wir,
Maude und ich«, sagte Earl, »in einer Zweizimmerwohnung am Hafen. Schreiben Sie das rein.«
»Wir hatten unsere Liebe«, sagte Maude.
»Ja«, sagte Earl, »und ich will nicht, daß die Leute glauben, ich wäre so ein Graf Protz, der mit einem Batzen Geld geboren wurde und dem diese Bude so einfach
zugeflogen ist. Aber nein! Dies ist das Ende eines langen, beschwerlichen Weges. Schreiben Sie das hin. Charley kennt mich noch aus den alten Zeiten, als ich mir das College verdienen
mußte.«
»Schwere Zeiten für Earl«, sagte Charley.
Da er nun im Zentrum der Aufmerksamkeit stand,
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